Mit der Ausbildung ‚HV-3S‘ darf man an Fahrzeugen mit spannungsführenden Hochvoltsystemen arbeiten. Bild: Paul Nutzfahrzeuge
E-Antrieb (BEV/FCEV)

Arbeiten unter Spannung – Ein Erfahrungsbericht

Ein neuer Lehrgang bei der Paul-Academy in Vilshofen-Albersdorf beginnt. Es geht um die Ausbildung zur ‚Fachkundigen Person der Stufe Hochvolt 3S gem. DGUV Information 209 093. Sie befähigt Mechatroniker(innen) an spannungsführenden Hochvoltsystemen zu arbeiten. Eingeschlossen sind auch Systeme, deren Spannungsfreiheit nicht nachgewiesen ist.
Die sechs Teilnehmer kennen den Weg zum Schulungsraum. Sie haben bereits ihre Hochvolt-Ausbildung (1S und 2S) hier absolviert, zum Teil auch die Ausbildung für Arbeiten an wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen (Fachkundige Person H2).
Bereits bei der Vorbereitung wird klar, dass es diesmal ans ‚Eingemachte‘ geht. Das gesamte Fachwissen wird auf die Waagschale gelegt. Um zugelassen zu werden, sind Nachweise zu den vorausgegangenen Qualifikationen, eine aktuelle Erste-Hilfe-Ausbildung, eine einjährige Berufspraxis sowie die Bestätigung, dass keine gesundheitlichen Hindernisse im Weg stehen, zu erbringen. Zusätzlich muss man über 18 Jahre alt sein.

Respekt ist geboten

Fast jeder Teilnehmer hatte bereits Erfahrungen mit elektrischem Strom gemacht, überwiegend im Haushalt, es war unangenehm, ging aber glimpflich aus. Die Vorstellung demnächst vor einer offenen, rund 630 Volt starken Hochvoltbatterie zu stehen, erzeugte ein gewisses Unbehagen. Gelassenheit sieht anders aus. Respekt ist geboten!

Vor der Praxis kommt die Theorie

Zunächst starteten sie mit einer ‚Ladung‘ Theorie. Rechtliche Hintergründe, Beispiele, Berechnungen und Erfahrungen aus dem Alltag und dem eigenen Betrieb. Viel Input, aber auch gemeinsamer Austausch auf Augenhöhe. Das Thema PSA (Persönliche Schutzausrüstung) – von zentraler Bedeutung, wenn es um die Arbeitssicherheit geht – rundet den ersten Schulungstag ab.

 

Die persönliche Schutzausrüstung ist bei Arbeiten an spannungsführenden Systemen Pflicht! Dazu gehören entsprechende Handschuhe, eine Schutzjacke sowie ein Schutzhelm. Bild: Georg Blenk

Arbeiten unter Spannung

Der zweite Schulungstag beginnt mit einem theoretischen Einstieg. Es geht um Gefährdungsbeurteilungen. Nicht allein die Tätigkeit selbst ist entscheidend, vielmehr die Bewertung potenziell gefährlicher Situationen. Gefahren gilt es einzuschätzen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Ziel ist es, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Sie verbieten zwar grundsätzlich das Arbeiten unter Spannung. Leider lässt sich das nicht durchgängig realisieren. Aus diesem Grund ist stets eine Gefährdungsanalyse notwendig, zumal wenn es um Arbeiten an den Hochvoltbatterien geht. Eine einhundertprozentige Sicherheit lässt sich nicht erreichen, ein gewisses Restrisiko bleibt. Es zählt die Erfahrung, die Umsicht, die Konzentration bei der Arbeit.
Tatsächlich übt man zunächst an einem spannungsfreien Dummy. Es wird deutlich, dass die PSA zwar umfassend schützt, aber sie beeinträchtigt allerdings auch das Arbeiten. Unterhandschuhe, Isolierhandschuhe und der Handschuh zum Schutz vor mechanischen Verletzungen machen die Demontage einer gewöhnlichen M10-Mutter zur echten Challenge.

Mise en place

‚Mise en place` (zusammenstellen). Ein gebräuchlicher Ausdruck aus der französischen Sterneküche. Bei uns bedeutet er, dass der Arbeitsplatz sauber und optimal vorbereitet ist, das Werkzeug, sämtliche Unterlagen, die PSA, ein Erste-Hilfe-Set griffbereit sind. Eine Notwendigkeit, gerade bei Arbeiten unter Spannung. Vor der Aufnahme der eigentlichen Arbeit bespricht man sich nochmal. Wie sieht die Vorgehensweise aus, welche Messungen führt man durch, welche Teile müssen demontiert, gegebenenfalls getauscht werden? Im Rahmen der Ausbildung stehen drei Personen und der Trainer am Hochvoltspeicher. Alle tragen die PSA und führen alle Handgriffe ruhig und konzentriert aus. Eine Bild wie im OP-Saal. Die definierte Aufgabe wird ausgeführt.

 

Die Arbeit mit den Schutzhandschuhen will gelernt sein. Bild: Paul Nutzfahrzeuge

Aufgabe ausgeführt

Sie nehmen die Helme ab, ziehen den schweren Lichtbogenschutz aus. Erleichterung macht sich breit. Die Aufgabe wurde gemeistert. Letztendlich ist der Schlüssel zum Erfolg eine solide Vorbereitung, die Kommunikation im Vorfeld und eine strukturierte Vorgehensweise. Jetzt ist die zweite Gruppe an der Reihe. Auch diese drei Kollegen erledigen erfolgreich ihre Arbeit.
Mit einiger Erleichterung geht es in den letzten Teil der Ausbildung. Es folgt die Auswertung der eigenen Arbeit, die Besprechung der Gefährdungsbeurteilungen und der Betriebsanweisungen. Im Übrigen ist alles bereits auf den eigenen Betrieb abgestimmt. Die Teilnehmer(innen) müssen sofort loslegen können – so der Anspruch der Paul Academy.

 

Robert Kiessling leitet die Paul-Academy. Bild: Paul Nutzfahrzeuge

Zur Person

Der Autor Robert Kiessling hat 21 Jahre Berufserfahrung im Kfz-Gewerbe. Er arbeitete zwölf Jahre als Instandsetzer bei der Bundeswehr, gefolgt von sieben Jahren in der Gesamtfahrzeugerprobung im Forschungs- und Innovationszentrum FIZ bei BMW in München.

Seit zwei Jahren ist Kiessling bei der Paul-Academy in Vilshofen bei Passau für das Produkttraining (unter anderem Hochvolt- und H2-Training) verantwortlich. Paul-Nutzfahrzeuge ist in Europa Marktführer im Bereich Sonderfahrzeugbau. Seit 2010 ist das Unternehmen im Bereich E-Mobilität tätig. Das Motto der Paul-Group lautet ‚Transforming Trucking‘.

Die schriftliche Prüfung

Abgeschlossen wird die Schulung zur ‚Fachkundigen Person HV-3S‘ mit einer schriftlichen Prüfung. Auch diese meistern die sechs Schulungsteilnehmer. Die Trainer überreichen die ersehnten Zertifikate. Es folgt der verdiente Applaus. Letztendlich geht es jedoch nicht um eine Urkunde, vielmehr darum, die Teilnehmer(innen) bestmöglich auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Eine Simulation ersetzt nur bedingt die Realität. Das Gelernte muss in der Praxis Anwendung finden. Beachtet man alle Sicherheitsvorkehrungen, die Herstellerinformationen und Reparaturanweisungen, verwendet entsprechende Werkzeuge und geht konzentriert vor, ist man auf der sicheren Seite.

Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 4-2025 der Krafthand-Truck.