Bremsenservice ist nicht gleich Bremsenservice - eine Vielzahl von Dingen muss beachtet werden. Bild: Winkler
Keine Kompromisse

Ein professioneller Bremsenservice ist wichtiger denn je!

Wartungs- und Reparaturarbeiten am Bremssystem gehören zum ‚Kleinen Einmaleins‘ eines Nutzfahrzeug-Profis. Insbesondere der verschleißbedingte Teileersatz zählt zu den klassischen Aufgaben im Werkstattalltag. Doch zu einem fachgerechten Bremsenservice gehört weitaus mehr.

Wiederaufbereitete Zuspanneinheit von Knorr-Bremse inklusive aller Serviceteile. Bild: Knorr-Bremse

Zusätzlich spielt die ‚zeitwertgerechte Reparatur‘ beim Bremsenservice eine immer größere Rolle. Es geht darum die TCO (Total Cost of Ownership = Gesamtbetriebskosten über die Gebrauchsdauer eines Fahrzeugs) zu optimieren. So gilt es abzuwägen, ob sich die geforderte Bremsleistung und -sicherheit nicht auch mit preiswerten Alternativteilen erreichen lässt. Ein Trend, den sowohl Hersteller von Bremssystemen als auch der Teilegroßhandel mit Zweit-, Eigen- und Handelsmarken kräftig unterstützen.

 

Optimale Bremsperformance

Nur eine optimal gewartete Bremsanlage kann entsprechende Bremswerte erreichen. Das gilt sowohl für Scheiben- als auch für Trommel-Bremssysteme. Auch Fahrerassistenzsysteme wie der Automatische Notbremsassistent EBA funktionieren nur effektiv, wenn die Bremsanlage die kinetische Energie effektiv in Reibung und Wärmeenergie umwandeln kann.

Bei der ‚ModulT‘ von Haldex lässt sich der Wechsel des Bremsbelags nahezu ‚werkzeuglos‘ erledigen. Zuvor muss man jedoch den Ratschen-Mechanismus des Nachstellers zurückdrehen und den Sicherungsbügel entfernen. Bild: Haldex

„Im Neuzustand passen die Komponenten meist optimal zusammen. Doch diese ‚ideale Paarung‘ verändert sich im Laufe der Betriebszeit“, wissen die Nutzfahrzeug-Fachleute von Hunger, einem Hersteller von Bremsendienst-Geräten.

Bremstrommeln bekommen Riefen und Unebenheiten auf der Reibfläche, der Belag verschleißt ungleichmäßig oder verglast. Nicht mehr korrekt anliegende Beläge können in unrunden Bremstrommeln harte Stellen, so genannte ‚Hotspots‘, verursachen und schwergängige Hebeleien sowie ‚lasche‘ Federn einen ungleichen Belag-Verschleiß und überhitzte Bremsen bewirken.
Bremsscheiben können sich verziehen, was zu störendem Bremsenrubbeln führt und in brenzligen Situationen die Bremsperformance reduziert. Und wenn der Bremssattel aufgrund von Korrosion immer schwergängiger wird, gibt es auch bei Bremsscheiben leistungsmindernde ‚Hotspots‘ und Auswaschungen. Zudem können die Reibflächen keilförmig einlaufen und die Beläge dadurch einseitig und ungleichmäßig verschleißen.

Abgedreht

Das größte Verbesserungspotenzial sehen die Bremsendienst-Spezialisten von Hunger bei der Bremsenwartung, wenn bereits gelaufene mit neuen Komponenten kombiniert werden sollen, also neue Bremsbeläge auf gelaufene Scheiben ‚beißen‘ oder Bremsbacken mit neuen Belägen in ‚alten‘ Trommeln zusammentreffen. Neben Sicherheitsvorteilen bringt das Abdrehen der Bremsscheiben beziehungsweise das Ausdrehen der Trommeln auch ein Plus an Bremskomfort, so die Fachleute. Zudem verkürze sich einerseits die Einbettzeit, so dass die Bremsperformance schnell zur Verfügung steht. Andererseits verlängere sich aufgrund der optimierten Oberflächen die Standzeit der Reibpartner, was weniger Werkstattaufenthalte bedeute.

Mit dem Abdrehen der Bremsscheiben lässt sich Bremsenrubbeln dauerhaft beseitigen. Bild: Hunger

Heißlaufen ist Einstellungssache

Bremsen können aus verschiedenen Gründen heiß laufen und überhitzen. Häufig ist ein falsches Lüftspiel zwischen Bremsbelag und -scheibe die Ursache dafür. Prinzipiell hat ein nicht korrektes Lüftspiel zwei typische Auswirkungen: Ist es zu groß, erhöht sich die Ansprechzeit beim Bremsvorgang, da der Leerweg größer ist, bis der Belag anliegt. Zudem kann sich im Extremfall die Bremswirkung verringern, da der Anpressdruck des Belags zu gering ist, um ausreichend Reibung zu erzeugen. Ist es zu niedrig, liegt der Bremsbelag permanent an der Scheibe an und schleift. Diese Dauerreibung erzeugt Wärme. Im Extremfall überhitzt die Bremse, wodurch die Wirkung nachlässt und es zu unerwünschtem Fading kommt. Außerdem kann es zu Bremsenrubbeln und Geräuschen bis hin zu dauerhaften Bremsscheibenschäden kommen. Letztere entstehen, weil sich die Reibfläche punktuell sehr stark erhitzt (bis über die Werkstoffstreckgrenze hinaus!), so dass sich diese plastisch verformen (‚verziehen‘) kann. Kühlen die überhitzten Stellen ab, können dort Hitzerisse entstehen.

Lüftspiel

Lüftspielwerte von Bremssystemen. Quelle: Beral

Pneumatische Scheibenbremssysteme sind zwar prinzipiell selbstnachstellend und gleichen betriebsbedingten Verschleiß über eine automatische Nachstellvorrichtung selbsttätig aus, die das Lüftspiel nach jedem Bremsvorgang entsprechend anpasst. „Doch das entbindet den Nutzfahrzeug-Profi nicht davon, das Lüftspiel regelmäßig beim Bremsenservice zu kontrollieren“, mahnen die Bremsenfachleute der Marke ‚Beral‘. Denn nur durch die regelmäßige Kontrolle lasse sich gewährleisten, dass die erlaubten Toleranzen korrekt eingehalten werden. Und obwohl ein vorschriftsmäßig funktionierender, automatischer Nachsteller normalerweise keinen manuellen Eingriff erfordert, sollte man den Mechanismus bei einem Bremsbelag-Wechsel, speziell aber im Falle einer heiß-gelaufenen Bremse, genauestens überprüfen. Ein abnormaler Nachstellweg deutet den Fachleuten von Beral zufolge üblicherweise auf ein anderweitiges Problem am Bremssystem hin.

 

Bremsnachsteller prüfen und Lüftspiel einstellen
• Bremsen zum Prüfen lösen, Fahrzeug gegen Wegrollen sichern, Rad abnehmen.
• Bremssattel auf den Führungsbolzen zum Öffnen aufschieben. Inneren Bremsbelag (Kolbenseite) von den Druckstücken abheben und sowohl Druckstücke als auch Trägerplatte des inneren Belags prüfen.
• Lüftspiel mit einer Fühlerlehre zwischen Druckstücken und Trägerplatte des inneren Belags prüfen.
• Ist das Lüftspiel größer/ kleiner als der Sollwert: Grundeinstellung durchführen: Lüftspiel auf 2 mm einstellen, Bremse 50 mal betätigen, Lüftspiel erneut prüfen.
• Ist das Lüftspiel dann immer noch größer/kleiner als der Sollwert: Nachsteller bzw. Bremssattel nach Maßgabe des Bremsenherstellers ersetzen.
Quelle: Beral

 

Der Kampf mit der Korrosion

Mitunter stehen Nutzfahrzeug-Profis beim Bremsenservice buchstäblich vor ‚unlösbaren‘ Problemen. Dies gilt beispielsweise für Bremsscheiben, die beim Austausch von der Nabe getrennt werden müssen, oder für automatische Gestängesteller, die sich massiv ihrem Austausch widersetzen. Mit beherzten Hammerschlägen, dem Schweißbrenner oder herkömmlichen Abziehern ist in solchen Situationen meist nichts auszurichten.

Hydraulisches Ausbauwerkzeug des schwedischen Werkzeugspezialisten Wallmek. Bild: Josam Richttechnik/Wallm

Um schwimmend gelagerte Bremsscheiben, wie sie unter anderem bei verschiedenen Modellen von DAF, Renault, Volvo und an einigen Trailerachsen verbaut sind, von der Nabe zu trennen, empfiehlt beispielsweise Josam Richttechnik, ein hydraulisches Spezialwerkzeug des skandinavischen Herstellers Wallmek. Der ‚Ausbausatz W-03-00025‘ besteht aus zwei 14-Tonnen-Hydraulikzylindern, die zwischen Bremsscheibe und Nabe platziert werden, und einem Verteilerblock mit zwei Handhebeln, um den hydraulischen Druck feinfühlig über Kreuz einzusteuern. Damit sollen sich selbst ‚extrem stramm‘ sitzende Scheiben problemlos abdrücken lassen. Als Druckerzeuger empfiehlt Josam eine herkömmliche Hydraulikpumpe mit 700 bar Leistung.

Mit Tiefeninduktionswärme lassen sich ‚rostverschweißte‘ Komponenten trennen. Bild: Vauquadrat

Eine andere Methode, ‚korrosionsverschweißte‘ Komponenten voneinander zu trennen, ist der Einsatz von Tiefeninduktionswärme, wie sie die Induktionserhitzer von Vauquadrat erzeugen. Laut Uwe Jung, Nutzfahrzeug-Spezialist bei Vauquadrat, genügt es bei den besagten Bremsscheiben meist schon, mit dem Induktionskopf zwei gegenüberliegende Stellen innen und außen auf einer Breite von zehn Zentimetern zu erwärmen, um die Komponenten voneinander zu trennen. „Sobald es knistert, lässt sich die Scheibe leicht mit dem Hammer abschlagen. Aber es sollte auf keinen Fall glühen, denn alles was glüht, schrumpft – und das wäre kontraproduktiv“, erläutert Jung.

Peripherie nicht vergessen

Im Rahmen des Bremsenservices sollte sich der Werkstattfachmann auch um zugehörige Nebensysteme kümmern, vor allem wenn sie für das Bremssystem funktions- und sicherheitsrelevant sind. Dazu gehört der Trockner der Druckluftanlage, die Trocknerkartusche spielt bei der Luftförderung eine zentrale Rolle. Unter dem Blechgehäuse steckt ausgefeilte Technik, die die unweigerlich entstehende Feuchtigkeit in der Druckluftanlage reduziert. Dies geschieht mittels ‚kaltregenerierten Absorptionstrocknung‘. Die vom Kompressor erzeugte Druckluft streicht durch die Trockenmittelkartusche, der Wasserdampf wird von

Zum Austausch des ABS-Sensors gehört auch die Verwendung einer neuen Führungsbuchse. Bild: Febi

einem Granulat aufgenommen. Die Regeneration des Granulats erfolgt in regelmäßigen Abständen durch eine ‚Rückspülung‘ mit bereits getrockneter Luft.
Eine weitere Funktion der Trockenmittelkartusche ist das Ausfiltern von zirkulierendem Motoröl aus der Druckluft. So wird verhindert, dass Ventile im Luftkreislauf Schaden nehmen und teure Systemausfälle verursachen. Aus diesem Grund empfiehlt sich der Einsatz von Trocknerkartuschen mit integriertem Ölabscheider. „Solche Trocknerkartuschen werden von den Fahrzeugherstellern in Serie eingesetzt. Man sollte sie auch im Tausch und bei der Nachrüstung verwenden“, empfiehlt der Stuttgarter Nutzfahrzeugteile-Spezialist Winkler. Im Übrigen: Auch ABS-Sensoren gehören quasi zu den Verschleißteilen. Sie können beispielsweise auch den Automatischen Notbremsassistenten EBA außer Funktion setzen.

 

 

Vorausschauender Sensor

Bild: BPW

Der Bremsbelag-Verschleiß ist bei Flottenbetreibern ein leidiges, weil kostentreibendes Thema: Wird der Belag zu früh gewechselt, verschwendet man unnötig Geld, erfolgt der Wechsel zu spät, droht im Extremfall ein schwerer Unfall. Trotzdem ordern Spediteure bei der Neubestellung eines Trailers nur sehr verhalten eine Bremsbelag-Verschleißanzeige, bemängelt der Trailerachsen-Spezialist BPW. Mit dem ‚BrakePadMonitor‘ will BPW dies ändern. Das wartungsfreie System überwacht kontinuierlich den Bremsbelag-Verschleiß. Herzstück ist ein Induktiv-Sensor, der den Abnutzungsgrad in Zehn-Prozent-Schritten ermittelt und den Wert sowohl im ‚Cargofleet 3‘-Telematikportal der BPW-Tochter ‚Idem Telematics‘ sowie der zugehörigen Fahrer-App anzeigt. Auf diese Weise soll sich die Bremsbelag-Stärke des Trailers erstmals sogar aus der Ferne kontrollieren lassen, so dass Fuhrparkmanager die Werkstatt-Termine vorausschauend planen können. Zudem überwacht der im Festlager der Bremse montierte Sensor die Beweglichkeit des Bremssattels und warnt, bevor es zu gefährlichen Heißläufern kommt. Laut BPW lässt sich das wartungsfreie, auf die Trailer-Lebensdauer ausgelegte System für die aktuelle Generation der Trailer-Scheibenbremse ‚Eco Disc TS2‘ ordern und bei der Vorgängergeneration ‚Eco Disc‘ nachrüsten.

Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 1/2-2021 der Krafthand-Truck.