HVO-Kraftstoffe könnten sofort großflächig zum Einsatz kommen, es fehlte jedoch bisher der politische Wille, den Einsatz auch durchzusetzen.
Im Gespräch mit Jörg Hübeler, Neste

„HVO-Kraftstoffe können die CO2-Emissionen um bis zu 90 Prozent reduzieren“

Das finnische Unternehmen Neste ist nach eigenem Bekunden der weltweit größte Hersteller von erneuerbarem Diesel. Der sogenannte ‚Neste MY Renewable-Diesel‘ wird auch als HVO100 oder HVO-Dieselkraftstoff bezeichnet. Dabei steht das Kürzel HVO für ‚Hydrotreated Vegetable Oil‘, zu Deutsch ‚hydriertes Pflanzenöl‘. Zur Produktion werden Öle und Fette aus Reststoffen, wie beispielsweise gebrauchtes Speiseöl, eingesetzt. HVO-Kraftstoff ist in beliebigen Mischungen erhältlich. Er kann in Reinform eingesetzt, aber auch in einem beliebigen Verhältnis mit fossilem Diesel gemischt werden.

Wir haben uns mit Jörg Hübeler, Head of Market Development Renewable Road Transport bei Neste über HVO für Lkw, die Vorteile und die Hürden bei der Einführung unterhalten.

Herr Hübeler, Sie haben im Mai auf der ‚Handelsblatt-Jahrestagung Nutzfahrzeuge‘ in München zum Thema ‚erneuerbarer Dieselkraftstoff als Alternative für die sofortige Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs‘ referiert. HVO kann also in beliebigen Anteilen in aktuell laufende Lkw getankt werden, ohne Implikationen auf die Motorleistung, den Verschleiß oder den Kraftstoffverbrauch?

Erneuerbarer Diesel beziehungsweise HVO ist ein Drop-in-Ersatz. Er kann in Reinform (HVO100) eingesetzt werden, ohne dass Anpassungen an den Dieselfahrzeugen oder den Motoren erforderlich sind. Annähernd alle Fahrzeug- und Motorenhersteller haben die von ihnen produzierten Dieselmotoren bereits für erneuerbaren Diesel freigegeben. Der von Neste produzierte ‚MY Renewable-Diesel‘ ist ein vollwertiger Dieselkraftstoff mit einer ähnlichen chemischen Zusammensetzung wie fossiler Diesel, kommt aber ohne Aromaten aus. Seine hohe Cetanzahl gewährleistet eine effiziente und saubere Verbrennung.

Wie sieht es mit der Abgasnachbehandlung, den Abgasemissionen aus?

Wissenschaftliche Studien und Feldversuche haben gezeigt, dass die Nutzung von einhundert Prozent ‚Neste MY Renewable Diesel‘ in Bezug auf ältere Fahrzeuge die Luftqualität vor Ort positiv beeinflusst. Im Vergleich zur Verwendung von fossilem Diesel zeigte sich bei der Nutzung des erneuerbaren Kraftstoffs in Fahrzeugen, die vor Inkrafttreten der Euro VI-Vorschriften gebaut wurden, weniger Ausstoß von Stickoxid (NOx), geringere Feinstaubemissionen, geringerer Ausstoß von Kohlenwasserstoff (HC) und Kohlenmonoxid (CO) sowie ein geringerer Ausstoß polyaromatischer Kohlenwasserstoffe (PAH).

„Zur Bekämpfung der
Klimakrise brauchen wir alle verfügbaren Lösungen.“

Die CO2-Emissionen gehen also bei der Verwendung von erneuerbarem Diesel annähernd gegen Null. Es wird doch Kohlendioxid freigesetzt?

„Der von Neste produzierte ‚MY Renewable Diesel‘ ist ein vollwertiger Dieselkraftstoff mit einer ähnlichen chemischen Zusammensetzung wie fossiler Diesel, jedoch ohne Aromaten“, so Jörg Hübeler.

‚Neste MY Renewable Diesel‘ wird zu 100 Prozent aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt. Die Emissionen bestehen vorrangig aus Kohlendioxid, das diese erneuerbaren Rohstoffe über die Photosynthese zuvor aus der Atmosphäre bindet. Fossile Kraftstoffe hingegen werden aus nicht erneuerbaren Ressourcen hergestellt und setzen damit zusätzlichen Kohlenstoff direkt in die Atmosphäre frei. Ihr Verbrennen trägt dazu bei, die absolute Konzentration von CO2 in der Erdatmosphäre zu erhöhen, was den Treibhausgaseffekt zur Folge hat und den Klimawandel verursacht. Durch die Nutzung von erneuerbarem Diesel von Neste werden die Treibhausgasemissionen (THG oder CO2e) über den Lebenszyklus des Kraftstoffs im Vergleich zu fossilem Diesel um bis zu 90 Prozent reduziert.

Wie schlagen sich HVO-Kraftstoffe, was die CO2-Gesamtbilanz angeht, im Vergleich zu FCEV/BEV?

Neste berechnet den CO2-Fußabdruck seiner Produkte und Lösungen über deren gesamten Lebenszyklus: von der Produktion der Rohstoffe bis zum Nutzungsende des Endproduktes. Diese Well-to-Wheel-Betrachtung ist elementar. Tatsächlich verursachen Fahrzeuge, die mit erneuerbarem Diesel betrieben werden, weniger Treibhausgasemissionen als Elektrofahrzeuge, die mit Strom aus dem aktuellen Strommix der EU fahren. Was uns aber ganz wichtig ist: Wir wollen nicht in Konkurrenz zur Elektromobilität treten. Vielmehr bieten wir eine ergänzende Technologie an. Denn wir sind überzeugt: Zur Bekämpfung der Klimakrise brauchen wir alle verfügbaren Lösungen.

Wie läuft die Produktion nach dem NEXBTL-Verfahren genau ab und wo kommen die Rohstoffe her?

Als Basisrohstoffe für HVO kommen Pflanzenöle oder Öle und Fette aus Reststoffen zum Einsatz.

Für die Herstellung der erneuerbaren Produkte verwenden wir bei Neste eine Vielzahl von Rohstoffen aus inzwischen über 60 Ländern weltweit. Über 90 Prozent davon sind Abfälle und Reststoffe, im Jahr 2022 waren es sogar 95 Prozent. Dank unserer Vorbehandlung, zum Beispiel durch entsprechende Reinigungsverfahren, können wir auch Abfälle und Rückstände von geringerer Qualität als Rohstoffe verwenden. Mit der NEXBTL-Technologie hat Neste zudem ein Verfahren entwickelt, mit dem sich eine Vielzahl von Fetten und Ölen in hochwertige erneuerbare Produkte verwandeln lassen. Der Herstellungsprozess umfasst nach der Vorbehandlung die Hydrierung mit anschließender Isomerisierung sowie Destillation. Die Fettmoleküle werden in diesem Prozess aufgespalten und in Kohlenwasserstoffketten umgewandelt.

Wird HVO zusätzlich speziell additiviert?

Die Verbrennung von HVO erfolgt gegenüber fossilem Diesel annähernd rußfrei.

Unserem ‚Neste MY Renewable Diesel‘ wird ein antistatisches Additiv zugegeben, das auch für Diesel auf Rohölbasis verwendet wird. Hinzu kommt ein Additiv zur Erhöhung der Schmierfähigkeit. Es schützt vor Verschleiß und hilft, die entsprechenden Grenzwerte der Norm EN 15940 für paraffinische Dieselkraftstoffe zu erfüllen. Das Additiv ist vom gleichen Typ, wie es auch in Dieselkraftstoffen nach DIN EN 590 zum Einsatz kommt. Der erneuerbare Diesel von Neste hat eine mindestens ebenso gute Performance wie fossiler Diesel, führt jedoch zu deutlich geringerer Verrußung der Abgasrückführungssysteme (EGR) und des Dieselpartikelfilters und damit zu einem geringerem Wartungsaufwand. Dies wurde unlängst erst vom Hamburg Airport bestätigt, der unseren Kraftstoff für den dieselbetriebenen Teil seiner bodengebundenen Fahrzeugflotte nutzt.

Warum findet HVO bisher kaum Verwendung. Sollten wir nicht alle Optionen nutzen die verfügbar sind, um die CO2-Emissionen zu reduzieren?

In Deutschland hat der geltende Rechtsrahmen das Inverkehrbringen von HVO100 bislang stark reguliert. Der Verkauf und der Einsatz erneuerbarer Dieselkraftstoffe ist hierzulande bisher lediglich in Kraftstoffgemischen möglich. Während HVO in mehreren anderen EU-Ländern und den USA längst auch an öffentlichen Tankstellen erhältlich ist, war die uneingeschränkte Nutzung von 100 Prozent erneuerbarem Diesel in Deutschland bisher ausschließlich in Non-Road-Anwendungen sowie in kommunalen Flotten und im Öffentlichen Personennahverkehr möglich. Neste liefert ‚Neste MY Renewable Diesel‘ etwa an die Deutsche Bahn, die den Kraftstoff im großen Umfang zur Dekarbonisierung einsetzt.

„Neste ‚MY Renewable Diesel‘ hat eine mindestens ebenso gute Performance wie fossiler Diesel, führt jedoch zu deutlich geringerer Verrußung der Abgasrückführungssysteme (EGR) und des Dieselpartikelfilters und damit zu einem geringerem Wartungsaufwand.“

Der aktuelle Verordnungsentwurf zur 10. BImSchV (Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes) des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) eröffnet eine neue Perspektive?

Mit dem Verordnungsentwurf des Bundesministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (BMUV) zur 10. BImSchV ist die uneingeschränkte Zulassung des Verkaufs paraffinischer Dieselkraftstoffe wie HVO nun einen Schritt näher gerückt. Die geplante Zulassung soll das Inverkehrbringen und die Nutzung von erneuerbarem Diesel in Reinform auch in Deutschland in allen Segmenten zeitnah erlauben.

Einhundert Prozent HVO ist in mehreren, anderen EU-Ländern und den USA längst auch an öffentlichen Tankstellen erhältlich.

Was muss aus Ihrer Sicht noch passieren, um HVO als Kraftstoffalternative zum Durchbruch zu verhelfen? Die Infrastruktur ist ja vorhanden.

Die Infrastruktur ist vorhanden, jetzt kommt es auf die Politik an. Wir hoffen, dass die Zulassung auch durch die Vertretung der Bundesländer im Bundesrat unterstützt wird und noch vor Ende des Jahres erfolgt.

Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 3-2023 der Krafthand-Truck.