Leseprobe Zu Ende denken... Band 6

Merkwürdiger Druckabfall

Eines Vormittags wurde auf unserem Werkstatthof ein französischer Familienvan mit 2,2-l-Common-Rail-Motorisierung von einem Abschleppdienst abgeladen. Der Besitzer des Fahrzeugs beanstandete, dass der Motor sporadisch während der Fahrt ausging, nach kurzer Zeit wieder ansprang, bis das Aggregat erneut seinen Dienst versagte und dann endgültig nicht mehr ansprang.

Zu Ende denken, ZED
Bild: Krafthand

Der Serviceberater machte sich zunächst selbst ein Bild der Beanstandung und startete den Motor. Dieser sprang sofort an und lief ohne Probleme weiter.

In der Werkstatt erkannte der Mechatroniker beim ersten Blick in den Motorraum, dass es der Kunde mit Wartung und Pflege seines Vans nicht allzu genau nimmt. Wir sahen auf dem Ölzettel einer freien Werkstattkette den handschrift­lichen Vermerk „Nur Ölwechsel“. Vermutlich hatte der ­Kunde nur einen Ölwechsel statt eines Kundendienstes in Auftrag gegeben. Und genau das, sollte sich noch als aus­schlaggebende Nachlässigkeit herausstellen.

Die Abfrage des Fehlerspeichers mit einem Diagnosegerät ergab, dass mehrmals ein Druckabfall im Common-­Rail-Dieselsystem vorlag. Anhand der gespeicherten Parameter und Zustände zum Zeitpunkt des Fehlers (Freeze-Frame-­Daten) konnte der Servicetechniker erkennen, dass es sich um einen sehr hohen Druckabfall handelte.

Zum Glück trat der Fehler jetzt bei den Prüfungen ständig auf. Deshalb konnten wir mittels Diagnosegerät nachvollziehen, dass beim ‚Nichtanspringen’ des Motors kein Raildruck messbar war. Als der Motor nach mehreren Startversuchen endlich ansprang, war am Raildruck keine Abweichung gegenüber dem Sollwert festzustellen.

Kraftstofffilter erneuert

Der Mechatroniker überprüfte nun systematisch das gesamte Kraftstoffsystem und begann mit dem Niederdrucksystem. Er erneuerte den Kraftstofffilter, entleerte und entlüftete das Filtergehäuse. Hier war deutlich die vernachlässigte Wartung zu erkennen. Danach wurde der Saugdruck im Vorlaufsystem mit einem Manometer gemessen. Da der Motor momentan einwandfrei lief, waren die Messungen ohne negative Befunde.

Um eine Fehlbetankung oder schlechte Kraftstoffqualität auszuschließen, schlossen wir die Hochdruckpumpe direkt an einen vollen Kanister mit Dieselkraftstoff an. Der Servicetechniker prüfte gerade die Rücklaufmengen der Injektoren, als der Fehler erneut auftrat und der Motor ausging. Alle Messbecher des Prüfgeräts waren mit einer nahezu identischen Kraftstoffmenge gefüllt. Somit waren mögliche Undichtigkeiten in den Injektoren als Fehlerursache auszuschließen. Trotzdem ließ der Werkstattfachmann alle Injektoren vorsorglich prüfen.

Währenddessen verschloss der Mechatroniker das Rail mit ‚blinden’ Leitungsanschlüssen, um die Funktion der CP3-Hochdruckpumpe mit angeflanschter Saugförderpumpe zu prüfen. Da der Raildruck bei diesem System über ein Mengenregelventil, welches in Ordnung war, an der Hochdruckpumpe beeinflusst wird, kam nur noch das Sicherheitsventil am Rail als Ursache in Betracht. Doch auch dieses Ventil war dicht und öffnete vorschriftsmäßig bei 1.500 bar.

Der Mechatroniker ließ dann mehrmals den Druck aus dem Hochdrucksystem ab und prüfte erneut, bis schließlich kein Druckaufbau mehr stattfand. Das zuvor beschriebene Fehlerbild war wieder akut. Da wir sporadische Fehler an der Hochdruckpumpe bisher ausschlossen, nahmen wir sie jetzt genauer unter die Lupe. Wir stellten hierfür den Diesel­kanister auf rund 2 m Höhe, und sobald der Anlasser betätigt wurde, baute sich der Druck im System wieder auf. Somit war der Fehler nur noch in der angeflanschten Saugpumpe zu suchen.

Nach der Demontage hatten wir die Bestätigung: Die Antriebswelle der Vorförderpumpe war keilförmig abgebrochen, sodass zeitweise zwar noch eine formschlüssige Verbindung herrschte. Die Zahnradpumpe blockierte aber häufig und das Bruchstück wanderte aufgrund des Widerstands weiter.

Ursache war Korrosion in der Pumpe, die vermutlich durch ein überschrittenes Wechsel- und Entwässerungsintervall des Kraftstofffilters entstand. Nach dem Einbau einer neuen Pumpe sowie der geprüften Injektoren konnten wir das Fahrzeug wieder übergeben.

Dieser Zu-Ende-denken-Fall ist in folgendem Buch erschienen:

Zu Ende denken… Band 6 – Knifflige Fälle aus dem Werkstattalltag

1. Auflage 2015, von Georg Blenk, Rudolf Guranti und Ralf Lanzinger, 120 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 15,80 Euro

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Das war ein Zu-Ende-denken-Fall – einer von vielen kniffligen Fällen aus dem Werkstattalltag.

Interessante Problemfälle gibt es sicher auch bei Ihnen. Schreiben Sie an torsten.schmidt@krafthand-medien.de oder rufen Sie an unter 08247 3007-72.

Jede veröffentlichte Einsendung wird mit 100 Euro honoriert.

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