Kfz-Profis reden Klartext

„Der Trend zum Pkw als Wegwerfprodukt ist ein Problem“

Kfz-Profis stehen vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen. Krafthand lässt deshalb freie Werkstattunternehmer zu Wort kommen, wie sie die aktuelle Situation in der Branche bewerten und auf welche Geschäftsideen sie für die Zukunft setzen. Teil 7: Matthias Daferner

Um Fehlern auf die Schliche zu kommen, gehört die Arbeit am Diagnosetester zum Alltag. Bilder: Thiele

Nichts geht mehr. Zumindest nicht in den nächsten vier Wochen. Bis dahin ist der Terminkalender in Matthias Daferners freier Kfz-Werkstatt im oberbayerischen Karlshuld, 20 Kilometer westlich von Ingolstadt, randvoll. Wer spontan sein Auto zur Wartung oder Reparatur abgeben möchte, den muss der 36-Jährige schweren Herzens vertrösten: „Wenn ich jemanden wegschicke, schlucke ich jedes Mal aufs Neue und ärgere mich. Aber ich habe einfach keine Kapazitäten frei“, erzählt der Kfz-Profi beim Vor-Ort-Besuch von Krafthand. Zurzeit fallen ihm solche Absagen besonders schwer, denn in seiner unmittelbaren Umgebung – die Gemeinde im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen zählt rund 6.000 Einwohner – haben gerade erst zwei Betriebe dichtgemacht.

Setzt sich der Wille der Fahrzeughersteller durch, wird das Auto zum Wegwerfprodukt.

Doch obwohl sein Geschäft derzeit brummt und genug Arbeit da ist, um zwei Gesellen und einen Lehrling zu beschäftigen, treiben den zweifachen Familienvater regelmäßig Gedanken um seine persönliche und die Zukunft der Kfz-Branche um. Er ist sich sicher: „Die Servicearbeiten an Verbrennern werden weniger werden.“ Deshalb macht sich der Unternehmer intensiv Gedanken darüber, wie er sich für die kommenden Jahre breiter aufstellen kann. „Am liebsten auf drei oder vier Füße“, sagt er.

Fehlerdiagnostik

Als begeisterter Techniker gehört die Fehlerdiagnostik an sämtlichen Pkw-Modellen zu einem seiner Steckenpferde. Es reizt ihn, Fehler aufzuspüren und ihnen auf den Grund zu gehen. „Das ist meine Leidenschaft und ich habe keine Ruhe, bis technisch wieder alles passt“, sagt der Oberbayer, der sein Handwerk in einer Toyota-Vertragswerkstatt gelernt und im Jahr 2010 seinen Meister gemacht hat. Zwar kostet ihn eine aufwendige Fehlersuche mitunter auch mal locker 20 Stunden und mehr und bringt es mit sich, das ein oder andere Teil auf eigene Rechnung zu bestellen. Doch ohne Lösung könne er die Werkstatttür nicht zuschließen: „Dann mache ich lieber die halbe Nacht durch.“

Komplexes Werkstattgeschäft

Aber nicht nur die Fahrzeugtechnik sei deutlich komplexer geworden, sondern das „gesamte Drumherum“ fordere gerade kleinere freie Betriebe zunehmend heraus. Als Beispiel nennt er nicht nur eine Menge an Bürokratie, sondern vermehrt komplett digitalisierte Abläufe wie die Dialogannahme. In die Pflicht nimmt er dabei (weiterhin) den Gesetzgeber. „Solange europaweite Regeln aufgestellt werden, sehe ich uns Freie technisch nicht im Hintertreffen.“ Er verweist auf die Gesetzgebung rund um die Euro-5-Norm, die alle Fahrzeughersteller dazu verpflichtet habe, notwendige Daten gegen Bezahlung herauszugeben. Und freien Betrieben die Option gebe, gleichberechtigt zu arbeiten, sofern sie mit Wartungslisten und Originalteilen arbeiten, so dass die Garantie erhalten bleibe: „Das war ein großer Sprung für uns als Nicht-Markenbetriebe.“

Solange der Gesetzgeber weiterhin europaweite Regeln aufstellt, sehe ich uns Freie technisch nicht im Hintertreffen.

Ob er sich aufgrund der zunehmenden Komplexität früher oder später auf einige ausgewählte Automarken spezialisieren wird, macht Daferner auch davon abhängig, welche und wie viele Daten die Hersteller von Gesetzes wegen in Zukunft verbindlich freigeben müssen. Denkbar sei dann ein Geschäftsmodell für bestimmte Marken nach dem Motto „Servicearbeiten ja, Diagnose nein“. Momentan repariert und wartet sein Team zusätzlich zur gesamten VAG-Gruppe auch alle anderen Fabrikate, wenn auch in kleinerem Umfang.

Fachkräfte(mangel)

Die Entscheidung für oder gegen eine mögliche Spezialisierung steht und fällt auch mit der Frage, wie stark sich der Fachkräftemangel in den kommenden Jahren in seiner Region niederschlägt. Schon länger bekommt Daferner – zusätzlich zum allgemeinen Mangel an qualifiziertem Nachwuchs – die unmittelbare Nachbarschaft zu der in Ingolstadt produzierenden Audi-Gruppe zu spüren. „Lohntechnisch kann ich da einfach nicht mithalten. Aber heutzutage braucht es schon für den Reifenservice geschultes Personal und keine Aushilfskraft, beispielsweise bei RDKS“, erklärt er. Damit auch bei einem Angestellten im Handwerk mehr Netto vom Brutto bleibe, sieht der Unternehmer den Staat in der Pflicht und schlägt steuerliche Erleichterungen vor. Nur dann könne das „Riesenproblem Fachpersonalmangel“, das selbstverständlich nicht nur die Kfz-Branche betreffe, ein wenig gelindert werden.

Leasing

Problematisch empfindet er nach mehreren Gesprächen mit seinen Kunden auch „den Trend zum Pkw als Wegwerfprodukt“. Gehe es nach dem Willen der Hersteller, setze sich Leasing als Geschäftsmodell noch stärker durch. Mit wenig Aufwand und Kosten für Autofahrer, die nach drei bis vier Jahren ein neues Modell bekommen, aber zu Lasten der Nachhaltigkeit. Und zu Lasten des Werkstattgeschäfts, wie Daferner beklagt: „Das ist ähnlich wie bei Handys. Mit Ressourcen schonen hat das nichts zu tun und wenn das so weitergeht, wird es den Gebrauchtwagenmarkt wie er heute ist in ein paar Jahren nicht mehr geben.“

Teile/Fahrzeugkomponenten

Deutliche Kritik übt er auch am heutigen Ersatzteilmarkt: „Viele Komponenten wie Generatoren waren jahrzehntelang Tauschteile und wurden überholt. Heute ist das immer öfter zum Wegschmeißen.“ Erst kürzlich bestätigte das ein Hersteller auf seine Nachfrage. Teilweise werfe er mittlerweile ganze Lichtmaschinen oder Anlasser in den Sondermüll. „Wo ist hier der Nachhaltigkeitsgedanke? Das ist reine Augenwischerei und hat mit Umweltschutz nichts zu tun.“ Profiteure seien ausschließlich OEMs. Mitgebrachte Ersatzteile verbaut er grundsätzlich nicht, denn damit sei erstens dauerhaft kein Geld verdient und zweitens bleibe in Sachen Gewährleistung immer ein Zweifel, weil er nicht zu 100 Prozent nachprüfen könne, woher ein Teil stammt.

Schadengutachter

Mit Blick in die Zukunft kann sich der Jungunternehmer auch eine Gutachtertätigkeit vorstellen. Ein solches zweites Standbein mache ihn unabhängiger vom grassierenden Personalmangel und sei außerdem auch mit zunehmendem Alter gut vereinbar. Das notwendige Basiswissen rund um Wert- und Schadengutachten hat sich Daferner im vergangenen Jahr in einem dreitägigen Lehrgang angeeignet, inklusive Prüfung. Der Plan: Sobald sein jetziger Geselle Matthias als Meister mehr Verantwortung in der Werkstatt übernehmen kann, will er als Gutachter durchstarten. Bis es so weit ist, hat sich der Kfz-Profi vorgenommen, möglichst viel praktische Erfahrung in diesem Business zu sammeln und einen erfahrenen Gutachterkollegen ab und an zu begleiten.

Viele Komponenten wie Generatoren waren jahrzehntelang Tauschteile und wurden überholt. Heute ist das immer öfter zum Wegschmeißen.

Damit auch rechtlich alles Hand und Fuß hat, müsste Daferner eine (Zweit-)Firma anmelden, deren Sitz nicht seiner Werkstattadresse entspricht. Und was ist mit sinkenden Unfallzahlen? Sie schrecken den Umtriebigen nicht ab: „Natürlich zeigen Statistiken, dass weniger Unfälle aufgrund von Fahrerassistenzsystemen passieren, aber es wird weiterhin wetterbedingte und Wildschäden geben.“

Elektromobilität

Selbstredend beschäftigt sich Daferner auch mit dem Thema E-Mobilität. Nachdem er schon seit einiger Zeit alle drei Hochvoltscheine besitzt, erhofft er sich für die Zukunft Weiterbildungen, die ihn in diesem Bereich technisch tatsächlich weiterbringen. Oder wie er es formuliert: „Vom Dürfen, zum Können.“ Solche Angebote seien derzeit noch rar. „Hier haben Markenwerkstätten momentan einfach die Nase vorn“, findet er. Sollte sich der Markt mit Elektrofahrzeugen tatsächlich nachhaltig durchsetzen, kann sich Daferner auch vorstellen, E-Auto-Batterien instand zu setzen. „Dazu müssen sie natürlich so gebaut werden, zum Beispiel als genormte Module, dass eine Reparatur oder das Überholen auch möglich ist.“ Bestenfalls herstellerübergreifend und/oder als eine Art Wechselmodul. „Aber wer weiß schon genau, wo diese Reise hingeht?“

Autoglas-Partner

Eine sichere(re) Einnahmequelle sei das Autoglasgeschäft. Vor knapp zwei Jahren hat er sich deshalb entschieden, dieses Geschäftsfeld weiter zu etablieren. Als AGS-Partner. „Große Investitionen waren dazu nicht nötig, weil ich schon immer auch Windschutzscheiben repariert habe“, erklärt der Kfz-Profi. Als offizieller AGS-Partner nutzt er seither die Abrechnungssoftware des Anbieters für eine – wie er sagt – einfachere Abwicklung mit Versicherungen. Und weil es für ihn als Werkzeugfan zum Service gehört, Fahrerassistenzsysteme auch zu kalibrieren, hat er sich im Frühjahr 2022 eine eigene Vorrichtung (von Bosch) zugelegt. „Beides zusammen erlaubt mir, mich schon heute breiter aufzustellen.“ Eher unwahrscheinlich also, dass es in der Karlshulder Werkstatt trotz vieler Herausforderungen in näherer Zukunft tatsächlich einmal heißt: Nichts geht mehr.

 

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