Interview: Denkanstöße für die Kfz-Ausbildung

Fachwissen ist wichtig, Kompetenz noch viel mehr

Warum der Experte für Technikdidaktik Ralph Dreher das im Kfz-Gewerbe oft sture Vermitteln von reinem Fachwissen für übertrieben hält, macht er im Krafthand-Interview gleich in seiner ersten Antwort an einem Beispiel klar. Dass er die Zukunft viel mehr im Erlernen von Kompetenz sieht, erklärt er ebenso wie die Gefahren durch E-Mobilität für freie Werkstätten.

Prof. Dr. phil. Ralph Dreher hat an der Universität Siegen einen Lehrstuhl für Technikdidaktik inne und stellte bei der Abschlussveranstaltung für das Konzept DIAKOM-E an der HWK Bremen sein binnendifferenziertes Kurskonzept zur Diagnose an Elektrofahrzeugen vor. Bilder: Schmidt

Herr Prof. Dr. Dreher, Sie sind der Meinung, dass sich die Ausbildung von einer reinen Fachwissensvermittlung zur Kompetenzvermittlung wandeln müsste. Was steckt dahinter?

Fachwissen ist selbstverständlich wesentlich für berufliches Handeln. Allerdings gibt es auch jede Menge an „totem“ Wissen, welches ich mühsam gelernt und dann wieder vergessen habe, eben weil ich es in der Praxis nicht brauchte. Hand aufs Herz: Wer kann alle elektrochemischen Vorgänge im Blei-Säure-Akku ad hoc benennen? In der Regel niemand, weil eigentlich nur wichtig ist: Je entladener die Batterie, umso höher ist ihr Wassergehalt und daher kann destilliertes Wasser nachgefüllt werden, welches dann wieder im Ladevorgang in einen Elektrolyten umgewandelt wird – wobei Wasserstoff entsteht, weshalb man in der Nähe von Batterien weder rauchen noch mit Feuer hantieren sollte.

Dieses Beispiel zeigt: Es wird nur ein Teil des Fachwissens benötigt, um Handlungsanweisungen zur Batteriepflege zu generieren. Der Rest der Batteriechemie ergibt aber wunderbar bewertbare Prüfungsaufgaben, die eher Hinweis darauf geben, wie fleißig jemand gelernt hat, wie viel er sich merken kann und wie leidensfähig er ist, um diese Nachweise zu erbringen.

Und das hat Ihrer Meinung nach mit Kompetenzvermittlung …

… nichts zu tun. Diese funktioniert genau anders herum: Es wird eine berufstypische Aufgabe gestellt, die es zu erfüllen gilt. Dabei sind fünf Schritte zu vollziehen. Erstens Informieren – was soll ich tun? Was habe ich zu beachten? Zweitens Planen – wie mache ich das konkret? Drittens Durchführen – ich mache das jetzt so wie geplant und viertens Kontrollieren – fachlich korrekte und funktionale Ausführung. Der fünfte Schritt ist Reflektieren – es wird ganzheitlich betrachtet, ob alles optimal gelaufen ist und ob man das nächste Mal etwas anders machen würde.

Dabei muss man sich für die Informations- und Planungsphase natürlich das tatsächlich notwendige Fachwissen aneignen. Dazu gehört aber auch die Selbstgestaltung, also die eigene Kreativität im Rahmen der Arbeitsplanung. Und diese Arbeitsplanung wird dann sowohl in der Kontrolle fachlich bewertet als auch in der Reflexion nach übergeordneten Kriterien (Nachhaltigkeit, Verantwortbarkeit, Effizienz).

Informieren. Planen. Durchführen. Kontrollieren. Reflektieren. Diese fünf Schritte sind die Basis zum Aufbau einer eigenständigen Handlungskompetenz, wie Prof. Dr. Dreher in seinem Vortrag erklärt.

Und wo liegt der Vorteil?

Geschulte Werkstattmitarbeiter sind Kollegen, die in hoher Präzision genau das reproduzieren, was sie gelernt haben und was hoffentlich in der Werkstatt verlangt wird. Kompetente Mitarbeiter stellen dieses Gelernte immer wieder in Frage, um es weiterzuentwickeln und an die Bedarfe anzupassen, sind also flexibler und innovativer. Wobei zur Ehrenrettung gesagt werden muss: Den menschlichen Roboter, der nur das macht, was ihm vorgegeben wurde, habe ich noch nicht erlebt. Der Mensch will selbstgestalten. Warum also nicht schon während des Lernens, wo es doch so ein wertvolles Moment für umfassend gute Werkstattarbeit ist?

„Kompetente Mitarbeiter stellen das Gelernte immer wieder in Frage, um es weiterzuentwickeln und an die Bedarfe anzupassen, sind also flexibler und innovativer als „nur“ geschulte Mitarbeiter.“

Der Wechsel von der reinen Fachwissens- zur Kompetenzvermittlung, zur sogenannten binnendifferenzierten Ausbildung, wie sie bei DIAKOM-E zum Tragen kommt, bringt auch Herausforderungen für die Lehrkräfte mit sich. Wie sehen die aus und warum gibt es dazu auch Widerstand?

Binnendifferenzierte Ausbildung meint, einer heterogenen Gruppe von Lernenden durch die Zuweisung spezifischer Aufgaben gerecht zu werden. Diese sollen zugleich motivierend zeigen, welche Stärken jeweils vorliegen und was es zu lernen gilt (Schwächen abbauen). Die Entwicklung derartiger Aufgaben ist möglich, wie das DIAKOM-E-Projekt zeigt. Es bedeutet jedoch Aufwand, sprich Zeit, die Lehrern/Ausbildern zur Verfügung gestellt werden muss. Und, dass diese darin gefördert werden, ausgehend von betrieblichen Arbeitsprozessanalysen so etwas zu leisten.

Der Widerstand ergibt sich aus den mangelnden Ressourcen für eine solche (ortsabhängig zu leistende) didaktische Arbeit, verbunden mit der Hilflosigkeit, derartige Instrumente, wie die Anwendung von Lernsituationsmatrizen aus DIAKOM-E, bislang gar nicht kennengelernt zu haben. Dieser Vorwurf von Deprofessionalisierung soll dabei eindeutig NICHT als Bashing gegenüber all jenen Kollegen verstanden werden, die mit hohem persönlichem Einsatz tagtäglich das duale System am Leben erhalten, sondern soll zu der Frage führen, wie wir Lehrer und Ausbilder so weiter qualifizieren, dass sie durch Anpassung an Bedarfe die gewerblich-technische Ausbildung wieder attraktiver machen können.

Lassen sich Erfahrungen aus dem binnendifferenzierten Ausbildungskonzept auf die Praxis in Werkstätten, z. B. für Junggesellen, übertragen?

Das binnendifferenzierte Ausbildungskonzept sieht ja eine „spiralcurriculare“ Kompetenzentwicklung vor. Das meint, dass ein Mechatroniker stetig mehr Gestaltungsspielraum bekommt und damit auch stetig mehr Verantwortung übernimmt. Was bedeutet das für die Praxis in Werkstätten? Zunächst muss sich die Werkstattleitung darüber klar werden, welche Arbeiten im Werkstattalltag dominieren und inwieweit bestimmte Arbeiten nicht standardisiert sind. Eine Standardinspektion etwa ist stark angeleitet durch den Inspektionsplan, sie bietet allenfalls Entscheidungsspielräume hinsichtlich bestimmter Verschleißbeurteilungen/ -grenzen, die aber zumeist auch schon festgelegt sind. Beispielhaft zeigt sich das an Bremsscheiben, deren Mindeststärke klar definiert ist, sodass allenfalls das Laufbild in geringem Maße diskutierbar ist.

Demgegenüber bieten beispielsweise Auf- und Umrüstarbeiten für den Mechatroniker einen hohen Gestaltungsraum, um den Anforderungen der Kunden gerecht zu werden. Gleiches gilt für Diagnosetätigkeiten. Diese sind oft sehr komplex und erfordern ein eigenständiges Vorgehen. Was ein häufiger Fehler ist: Derartige gestaltungsoffenen Aufgaben dürfen nicht gleichgesetzt werden mit komplizierten Arbeiten (z. B. Motor- oder Getriebeüberholung), die im Regelfall nach Montageanleitungen hochnormiert vorzunehmen sind und entsprechendes Know-how und motorische Geschicklichkeit verlangen.

Das alles berücksichtigend, lassen sich dann Mitarbeiter fördern, indem sie schrittweise an Tätigkeiten herangeführt werden, für die zunächst Know-that (wissen, dass: Inspektion), dann Know-how (wissen wie: Aggregateüberholung) und schließlich Know-why (wissen warum: Auf- und Umrüstung) erforderlich ist.

Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für freie Werkstätten durch die E-Mobilität?

Leider kann ich aus jetziger Sicht keine positiven Tendenzen für die freien Werkstätten und den Aftersales-Market erkennen. Die Maßnahmen, wie sie in der neu aufzusetzenden Kfz-GVO diskutiert werden, sind richtig, stoßen aber dann an Grenzen, wenn dazu entsprechende Diagnoseausrüstung notwendig ist. Eine Over-the-air-Diagnose und das daraus folgende Updating oder aber eine „On-demand-Funktionszuschaltung” mögen noch möglich sein, sofern Mehrmarkentester das können und diese Themen expliziter Bestandteil der neu zu formulierenden GVO werden.

Jeweils marken-/fahrzeugspezifische Prüf- und Adapterkabel für die E-Fahrzeuge, die Stand jetzt sehr teuer und zudem kaum verfügbar sind, machen das Servicegeschäft für die E-Fahrzeuge aber unprofitabel, zumal vorab die Nachschulung zur Arbeit an Hochvoltfahrzeugen finanziert werden muss. Ich wage hier die These: Je mehr sich das Neuwagen- und hochwertige Gebrauchtwagengeschäft online verlagert, desto mehr werden die OEMs die Mess- und Prüfmittel verteuern und reglementieren (Apple mit seinem Konzept des Lizenzkaufs für externe Hersteller von Zubehörprodukten lässt grüßen), um das Reparatur- und Wartungsgeschäft bei den Vertragshändlern zu halten. Insgesamt kann eine zunehmende E-Mobilität also dazu führen, dass freie Werkstätten es hier künftig mit einem deutlich kleineren Marktvolumen zu tun haben. Ein Ausweg wäre, dass (ggf. ausgehend von den Werkstattketten, die das Innovationspotenzial haben) sich ein Angebot für frei verfügbare und günstige Diagnosemittel etabliert.

Ein Schlusswort als Oldie-Fan: Nicht jeder sollte jetzt auf die Idee kommen, dass das Old- und Youngtimergeschäft dann für die freie Werkstatt der Markt der Zukunft ist. Ja, dieser Markt ist da und ja, er ist stabil und ja, er ist zukunftsträchtig. Aber die Arbeit an diesen Fahrzeugen erfordert auch ein spezifisches Know-why, was viele, die jetzt aktuell ausgebildet wurden, eben genau nicht mehr haben und sich auch nicht eben mal anlesen können.

Herr Dr. Dreher, vielen Dank.

Die Fragen stellte Torsten Schmidt

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