Adventskalender: Türchen 4

Der Rennfahrer – Praxisfall aus den 60er Jahren

Trotz einwandfreier Einstellungen verlor ein Fahrzeug stetig an Endgeschwindigkeit – bis ein verdächtiges Geräusch die wahre Ursache entlarvte. Ein unscheinbares Bauteil bremste den Wagen mehr aus, als es jeder Fahrer ahnen würde.

Krafthand-Adventskalender Türchen 4
Bild: Krafthand

Es gibt Leute, denen kann es nie schnell genug gehen. Und da auch für diese Menschen Autos gebaut werden, müssen wir als reparierende Handwerker dafür sorgen, dass die von den Herstellern genannten Höchstgeschwindigkeiten auch tatsächlich erreicht werden.

Wir hatten einen solchen ‚Rennfahrer‘ in unserer Kundschaft, und er beklagte sich in zunehmendem Maße darüber, dass sein sonst so ‚schneller Hirsch‘ immer langsamer wurde. Wenn er am Anfang noch glatte – laut Tachometer 185 Knoten (wie er sich ausdrückte) brachte – waren in der letzten Zeit nur noch recht und schlecht 170 km/h zu erreichen.

Als sogar die Höchstgeschwindigkeit nur noch auf 165 km/h zu bringen war, riss ihm der Geduldsfaden mit der ‚müden Karre‘. Er stellte uns das Fahrzeug zur Verfügung mit der Auflage, ihm seine alten Lebensgeister wieder einzuhauchen.

Eine routinemäßige Untersuchung und Überprüfung von Vergaser, Zündung und Ventilen (et cetera), erbrachte zwar die üblichen Abweichungen, doch sie lagen durchweg im Rahmen. So wagten wir uns mit dem Fahrzeug auf die nicht wenig befahrene Autobahn, um einmal im Konzert der Schnellen mitzumischen. Es zeigte sich, dass der Motor mit seiner Dreh­zahlsteigerung dicht unterhalb der 170-km/h-Grenze Schluss machte.

Trotzdem hatten wir das Gefühl, dass er noch höher drehen könnte. Irgendetwas schien ihn regelrecht zurückzuhalten. Auch bei voll ausgefahrenen, kleineren Gängen endete die Drehzahl jeweils entsprechend, und immer war man der Meinung, ein paar hundert Touren fehlten noch. In der Werkstatt fand noch einmal eine gründliche Überprüfung statt, doch auch sie ergab keinerlei neue Gesichtspunkte.

Bei einem Kilometerstand von knapp 20.000 km vermochten wir auch an tieferliegende Störungsquellen nicht zu glauben, und auch Gedanken an Ventilverkokung verboten sich bei dem Wissen um die Fahrweise des schnellen Kunden. So übergaben wir das Fahrzeug wieder seinem Besitzer, empfahlen einmal über einen längeren Zeitraum hinweg einen Kraftstoffzusatz zu fahren, und im Falle eines weiteren Absinkens der Endgeschwindigkeit stellten wir weitere, tiefergreifende Eingriffe in das Innenleben des Motors in Aussicht.

Nach einiger Zeit tauchte der Kunde wieder bei uns auf. Er ließ mehrere Kleinigkeiten instand setzen und berichtete, dass er nochmals anlässlich des Aufenthaltes in einer größeren Stadt eine Überprüfung des Fahrzeuges hätte vornehmen lassen. Doch trotz des Einsatzes modernster Testgeräte sei das Resultat der Untersuchung das gleiche gewesen wie bei uns. So schien er sich wohl damit abgefunden zu haben, etwas langsamer, als es sonst seine Art war, die Kilometer abzuspulen.

Dieses Kapitel ist in folgendem Fachbuch erschienen:

Zu Ende denken… Klassik Band 3

Historische Praxisfälle aus 95 Jahren Werkstattalltag, inklusive historischen Anzeigen, 1. Auflage 2024, von Georg Blenk, 22,95 Euro

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Erst ein weiterer Schaden sollte uns auf die Spur bringen. Nach einer längeren Autobahnjagd brachte besagter Kunde sein Fahrzeug zu uns in die Werkstatt und führte uns ein schlagendes Geräusch vor. Es hörte sich unverkennbar nach Stirnrädern an, welche kurz vor dem Ab­reißen standen. Doch wir konnten wegen des niedrigen Kilometerstandes – und wir wussten, dass es echte Kilometer waren – kaum an einen Verschleiß der Stirnräder glauben.

Trotzdem demontierten wir das Steuergehäuse und fanden unsere Annahme bestätigt. Die Stirnräder standen kurz vor dem endgültigen Verschleiß. Allmählich dämmerte uns die Erkenntnis, dass bereits das Absinken der Geschwindigkeit mit dem stärker werdenden Verschleiß der Stirnräder in Zusammenhang zu bringen war, und wir ­waren gespannt, ob nach erfolgter Reparatur auch die ­ursprüngliche Endgeschwindigkeit wieder erreicht würde. Sie wurde erreicht, und alles war klar.

Hätten Sie die Lösung gewusst?

Das war ein Zu-Ende-denken-Fall – einer von vielen kniffligen Fällen aus dem Werkstattalltag.

Interessante Problemfälle gibt es sicher auch bei Ihnen. Schreiben Sie an torsten.schmidt@krafthand-medien.de oder rufen Sie an unter 08247 3007-72.

Jede veröffentlichte Einsendung wird mit 100 Euro honoriert.

Knifflige Werkstattfälle gibt es übrigens auch als Buch:

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