Interview mit Carat-Chef Thomas Vollmar

„Wir holen Werkstätten dort ab, wo sie sind“

Bei der Einkaufskooperation Carat-Gruppe dreht sich das Personalkarussell. Krafthand hat deshalb mit dem Ende 2022 scheidenden Geschäftsführer – vor dessen Kandidatur für die GVA-Präsidentschaft – über drängende Branchenthemen und natürlich auch über seinen Nachfolger gesprochen.

Christian Gabler (links) übernimmt die Geschäftsführung der Carat-Gruppe Ende 2022 von Thomas Vollmar. Bild: Carat-Gruppe

Herr Vollmar, welches Fazit ziehen Sie nach mehr als 25 Jahren?

Das Fazit ist für mich sehr eindeutig: Ich darf mich sehr glücklich schätzen, dass mich das Schicksal vor 26 Jahren in diese spannende Branche geführt hat und die Gründung der Carat-Gruppe ermöglichte. So konnte ich viele besondere Momente erleben, viele fantastische Menschen kennenlernen und immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert werden.

Wie läuft die Staffelübergabe an Ihren Nachfolger Christian Gabler?

Sie ist in vollem Gange! Der Carat-Beirat hat sich ganz bewusst sehr frühzeitig für die Berufung unseres langjährigen Prokuristen Christian Gabler zum Geschäftsführer der Carat entschieden. So können wir 18 Monate lang die Übergabe vollziehen, wichtige Projekte gemeinsam anstoßen und begleiten sowie die Vernetzung auf nationaler und internationaler Ebene vollziehen.

Kommen wir zum Ersatzteilgeschäft. Ende 2017 sagten Sie im Gespräch mit uns, dass das Geschäft mit dem Ersatzteilverkauf in den nächsten Jahren auf jeden Fall noch profitabel sein wird. Sie sprachen sogar von einem Wachstumsmarkt. Sehen Sie das immer noch so?

Eindeutig ja! Abgesehen von dem Coronajahr 2020 hat unsere Branche auch nach 2017 ein stetiges Wachstum auf der Teilehandelsseite verzeichnet, ganz besonders in 2018. Und auch das Jahr 2021 wird bei den Umsatzzahlen über dem Jahr 2019 liegen. Dies scheint im Widerspruch zum rückläufigen Service- und Reparaturgeschäft zu stehen und lässt sich am einfachsten mit einem Marktanteilsgewinn des IAM gegenüber der OE-Seite erklären. Umso stärker sind nun die Anstrengungen in der digitalen Servicesteuerung durch die Fahrzeughersteller zu spüren, denen wir als IAM unbedingt etwas entgegensetzen müssen. Die Fahrzeuge werden immer komplexer, die Arbeiten aufwendiger, die Teile teurer. Gleichzeitig steigt das durchschnittliche Fahrzeugalter auf zehn Jahre. Genug Gründe, auch weiterhin an ein stabiles Geschäft zu glauben und entsprechend zu investieren.

„Sobald dem freien Reparaturmarkt gemäß EU-Recht der Zugang zu den Daten ermöglicht wird, müssen unsere Werkstätten in der Lage sein, dieseDaten für ihr Geschäft auch zu nutzen.“

Jetzt gibt es aber nicht nur den Wettbewerb zu den OEMs, sondern auch den der Teilehändler untereinander. Wie soll eine vergleichsweise kleine Einkaufsgenossenschaft wie Carat gegen die großen Teilehändler, die immer größer werden (wollen), bestehen?

Na ja, mit knapp 14 Prozent Marktanteil kann man die Carat nicht als kleine Einkaufsgenossenschaft bezeichnen – im Gegenteil! Sie ist mit Abstand die größte nationale Mittelstandskooperation in der Branche und wurde ganz aktuell von der FAZ erstmals im Ranking unter den Top-25-Verbundgruppen gelistet. Aber ja, verglichen mit den multinationalen Konzernen ist das Einkaufsvolumen und somit auch die Chance auf Top-Einkaufskonditionen als eher klein zu bezeichnen. Die Nachteile im täglichen Preiskampf versuchen unsere angeschlossenen Familienunternehmen mit großem Einsatz, mit ihrer Nähe zum Kunden und mit unternehmerischer Kreativität zu kompensieren.

Und was ist Ihre Rolle dabei?

In diesem Kampf unterstützen wir massiv mit effizienten Dienstleistungen auf den Einkaufs-, IT-, Marketing- und Vertriebsebenen. Zusätzlich hilft uns natürlich unsere Anbindung an die ADI und 1PARTS, die mit mehr als 15 Milliarden Euro Gesamtvolumen eine bedeutende Rolle im Markt spielt und unseren Großhändlern eine wesentliche Zusatzkondition im Preiskampf sichert.

Was gibt es Aktuelles über die Mobilitätsplattform für Autofahrer und den freien Werkstattmarkt Drivemotive zu berichten?

Drivemotive nimmt immer stärker Fahrt auf und bietet inzwischen auch eine komfortable Online-Buchungsmöglichkeit an. Diese richtet sich konsequent nach den heutigen Gegebenheiten in den meisten freien Werkstätten. Mit einer umfangreichen Istanalyse mussten wir feststellen, dass lediglich 14 Prozent der freien Werkstätten bereits voll digital arbeiten und der klassische Tischkalender für Terminvereinbarungen verschwunden ist. Auf der Seite der Vertragswerkstätten sieht das Bild komplett konträr aus: lediglich 18 Prozent der Werkstätten verfügen noch nicht über ein Online-Buchungssystem.

 

Was schlussfolgern Sie daraus?

Für uns war damit klar, dass wir unsere Werkstätten zunächst dort abholen, wo sie sind. Das heißt, über unsere Call-Center in der Carat-Zentrale erfassen wir alle eingehenden Online-Buchungen und kontaktieren dann die betreffende Werkstatt, damit von ihr eine sofortige Rückmeldung an den Autofahrer gewährleistet wird. Der Anteil der Online-Buchungen nimmt spürbar zu und somit steigt dann auch die Bereitschaft, die werkstattinternen Prozesse auf eine digitale Grundlage umzustellen. Dann kann ein Upgrade auf unseren neuen Branchenbaustein Repdate erfolgen, den wir in Drivemotive integriert haben.

Bleiben wir bei Repdate. Wie ist dort der aktuelle Stand?

Über diesen Baustein sind wir sehr froh! Nicht nur, weil er technologisch fortgeschritten und mit vielen Zukunftsoptionen verbunden ist, sondern weil es endlich möglich war, einen großen Schritt in Richtung Branchenlösung zu gehen. Neben den vier größten Automobilzulieferern haben sich die Carat, die ATR und die Global One inklusive WM dieser Lösung angeschlossen.

Unter dem Dach des eigens hierfür gegründeten Datendienstleisters Caruso sollen die freien Werkstätten Schritt für Schritt auf digitale Augenhöhe mit den Vertragswerkstätten gebracht werden und die Livedaten aus dem Fahrzeug für eine optimale Servicequalität nutzen können. Hier findet gewissermaßen ein Wettlauf gegen die Zeit statt. Sobald dem freien Reparaturmarkt gemäß EU-Recht der Zugang zu den Daten ermöglicht wird, müssen unsere Werkstätten in der Lage sein, diese Daten für ihr Geschäft auch zu nutzen. Ansonsten wäre die EU-Gesetzgebung eine reine Makulatur, die letztlich zum Ende des freien Reparaturmarkts führen würde.

Aber muss sich nicht der IAM zusammentun, damit nicht verschiedene Insellösungen den Erfolg gefährden?

Ja, davon bin ich überzeugt. Der größte Fehler bei den vielen gescheiterten Modellen lag immer in der Annahme, man könne ein System im Markt etablieren, über das dann ein Zusatzumsatz zu Lasten des Wettbewerbs generiert wird. Die Sicht des Autofahrers blieb immer unberücksichtigt. Den Autofahrer interessieren aber die Zusammenhänge in unserer Wertschöpfungskette nicht – er braucht eine Lösung für seinen individuellen Bedarfsfall. Da möchte er sich nicht mit unterschiedlichen Dongles, Apps, Dienstleistern und Leistungsversprechen auseinandersetzen. Stattdessen ist er dankbar für ein einfaches, standardisiertes Tool, das alle Werkstätten in der Region, übrigens freie Werkstätten und Vertragswerkstätten, berücksichtigt. Wer dann das Teil an die Werkstatt liefert, entscheidet letztlich die Werkstatt, die sich ebenfalls über einen Auswahlalgorithmus unterstützen lassen kann.

Den Autofahrer interessieren die Zusammenhänge in unserer Wertschöpfungskette nicht, er möchte eine Lösung für seinen individuellen Bedarfsfall.

Um für die Zukunft gerüstet zu sein, setzen Sie auch auf ein erweitertes Carat-Logistikzentrum, richtig?

Genau – das ad-CARGO-Logistikzentrum ist das Herzstück der Carat und wurde gerade auf 250.000 Lagerplätze in Verbindung mit einem neuen Shuttlesystem erweitert. Die Versorgung aus einem eigenen leistungsfähigen Lager ist der Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit des mittelständischen Teilehandels. Dieser benötigt allerdings neben der Versorgung per Nachtsprung auch die mehrfache untertägige Versorgung für den Sofortbedarf. Da dies bisher nur in einem Radius von 100 Kilometern möglich war, werden wir nun auch mit zusätzlichen Satellitenlagern in die für Carat relevanten Regionen gehen und dort die notwendige Versorgung aufbauen.

Zusätzlich streben Sie ein strategisches Logistiknetzwerk an. Was hat es damit auf sich und wie können freie Werkstätten davon profitieren?

Die ersten Ansätze für ein strategisches Logistiknetzwerk sind bereits vorhanden. So ergänzen zwei Carat-Versorgungsgroßhändler im Norden und im Süden das ad-CARGO-Zentrallager mit einem gespiegelten Warenbestand und abgestimmten Abgabepreisen. Ein erweitertes Netzwerk erfordert aber nicht nur die angesprochenen Satellitenlager, sondern auch eine ausgeprägte Vernetzung der unterschiedlichen Warenwirtschaften, die es ermöglicht, auf die Kollegenbestände zuzugreifen und mit einem kleinen Handlingaufschlag abzurufen. Der Nutzen für die Werkstatt ist hier eher abstrakt. Die Teileverfügbarkeit wird optimiert und die Wahlmöglichkeit der Bezugsquellen bleibt bestehen.

Die Nachteile im täglichen Preiskampf versuchen unsere angeschlossenen Familienunternehmen mit großem Einsatz, mit ihrer Nähe zum Kunden und mit unternehmerischer Kreativität zu kompensieren.

Zum Schluss noch die Frage nach Ihrem Nachfolger. Was wünschen Sie Christian Gabler?

Ich wünsche ihm alles, was Leadership in der heutigen Zeit ausmacht. Ich wünsche ihm ein glückliches Händchen bei allen Entscheidungen, die Unterstützung aus dem Gesellschafterkreis und von seinen Mitarbeitern, die Neugier, das Interesse und das offene Ohr für gute Ideen und positive Veränderungen und nicht zuletzt die Fähigkeit, für jeden Wind das richtige Segel zu setzen.

Herr Vollmar, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

 

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