30 Jahre gesetzliche Fahrzeugüberwachung - ein Interview

Warum eine periodische HU künftig nicht mehr ausreicht

Im KRAFTHAND-Interview zieht KÜS-Hauptgeschäftsführer Peter Schuler Bilanz und erklärt, welchen Herausforderungen sich die Überwachungsorganisation nicht nur in Sachen Prüftechnik gegenwärtig stellen muss und an welchen Zielen für die Zukunft gearbeitet wird.

Dipl.-Ing. Peter Schuler ist seit 1993 Hauptgeschäftsführer der Kraftfahrzeug-Überwachungsorganisation freiberuflicher Kfz-Sachverständiger KÜS.

Sie feiern in diesem Jahr 30 Jahre Tätigkeit in der gesetzlichen Fahrzeugüberwachung. Wie fällt Ihr Fazit nach drei Jahrzehnten aus?

Die KÜS ist heute eine der großen Kfz-Überwachungs- und Sachverständigenorganisationen mit mehr als 1.500 KÜS-Prüfingenieur*innen im gesamten Bundesgebiet. Wir sind ein verlässlicher, kompetenter Partner der Autofahrer*innen und natürlich des Kfz-Handwerks – mit umfassendem, modernem Dienstleistungsportfolio für die Automotive-Branche, aber auch darüber hinaus.

Was waren entscheidende Meilensteine?

Da gibt es viele Ereignisse, beginnend mit der Anerkennung der KÜS als amtlich anerkannte Kfz-Überwachungsorganisation in allen Bundesländern, die Gründung der KÜS-Akademie, die erste Million bei den geprüften Fahrzeugen, die stetige Zunahme der KÜS-Prüfingenieure*innen seit Gründung bis heute, der Fall des Monopols zur Begutachtung historischer Fahrzeuge, der Bau des hochsicheren, hochmodernen Rechenzentrums der KÜS Data GmbH, der Bau des Test- und Prüfzentrums der KÜS Technik GmbH, die umfassende Digitalisierung unserer Fort- und Weiterbildung – ich könnte diese Liste beliebig erweitern.

„Mit dem HU-Adapter kam erstmals ein Schnittstellenwerkzeug, das den physikalischen Zugang zum Fahrzeug ermöglichte.”

Ein wichtiger Schritt erfolgte auch 2012, als der neu aufgebaute Technische Dienst der KÜS an den Start ging, den das KBA für das Gesamtfahrzeug benannt hat. Richtig?

Absolut. Schon Anfang der 90er haben wir umfangreiche Bestrebungen aufgenommen, den Paragraphen 21 zu liberalisieren. Das war auch mir persönlich ein wichtiges Anliegen. Damals zeichnete sich ab, dass nur über die europäische Schiene eine Öffnung des Einzelbetriebserlaubnisverfahrens für Technische Dienste möglich werden wird. Was sich bekanntlich 2019 bewahrheitet hat. Aus diesem Grund haben wir dann das Benennungsverfahren zum Technischen Dienst in Angriff genommen und übrigens als einer der schnellsten erfolgreich durchlaufen. So konnten wir auch unsere Kompetenzen im Typgenehmigungsverfahren dokumentieren und sind heute mit der KÜS Technik GmbH ein gefragter Partner für die Automobilwirtschaft und Zulieferindustrie.

Wie viele Hauptuntersuchungen führt die KÜS jährlich durch? 2016 waren es ja bereits 2,8 Millionen.

Stand heute führen mehr als 1.500 KÜS-Prüfingenieur*innen im gesamten Bundesgebiet mehr als drei Millionen Hauptuntersuchungen jährlich durch. Mehr als jedes zehnte Fahrzeug in Deutschland wird somit geKÜSst. Hinzu kommen im gesetzlich geregelten Bereich AU, SP usw., sodass wir insgesamt auf ein Prüfvolumen von etwa fünf Millionen Fahrzeuguntersuchungen pro Jahr kommen.

Wie hat sich die eigentliche HU im Lauf der Zeit technisch verändert, Stichwort: mobile Datenverarbeitung?

Zunehmend werden Fahrzeuge mit einer Vielzahl an Assistenzsystemen ausgestattet. Tendenz steigend. Dies stellt völlig neue Herausforderungen für die Fahrzeugüberwachung dar. Entsprechende Werkzeuge wie zum Beispiel der HU-Adapter müssen stetig weiterentwickelt werden, damit auch eine Prüfung solcher Systeme und Software gewährleistet bleibt. So gewinnt das Thema diskriminierungsfreier Zugang zu Fahrzeugdaten für die Durchführung der Hauptuntersuchung zunehmend an Bedeutung.

Gehört der Zugang zu diesen Daten also zu den größten Herausforderungen für die technische Fahrzeugüberwachung?

Ja, diese Fahrzeugdaten stehen verstärkt im Fokus. Der Zugang dazu ist für die Fahrzeugüberwachung unerlässlich, um Fahrzeuge in Zukunft, auch im Hinblick auf beispielsweise Over-the-air-Updates oder autonomes Fahren, auf ihre Verkehrssicherheit prüfen zu können. Deswegen ist aus unserer Sicht neben der periodischen Fahrzeugüberwachung auch eine anlassbezogene Untersuchung, beispielsweise im Fall von Software-Updates, notwendig. Aber auch der verstärkte Einsatz und die Weiterentwicklung von Fahrerassistenzystemen oder lichttechnischen Einrichtungen bedarf einer Anpassung der Prüftechnik. Darum arbeitet die KÜS derzeit gemeinsam mit Kooperationspartnern an der HU der Zukunft, im Auftrag der Verkehrssicherheit.

Auch die Hauptuntersuchung als Teil amtlicher Fahrzeugprüfungen muss mit der Zeit gehen. Ein Zukunftsszenario könnte sein, Pkw sowohl statisch als auch dynamisch zu prüfen. Bilder: KÜS

Welche Werkzeuge nutzen Prüfingenieure heute im Vergleich zur ersten durch einen KÜS-Experten durchgeführten HU am 2. April 1991?

Vor allem die Informationstechnologie hat die HU verändert. Die KÜS schreibt und programmiert ihre Prüfsoftware von Beginn an selbst. Und da ist über die Jahre einiges passiert. Alles ist effizienter, sicherer und auch schneller geworden. Mit dem HU-Adapter kam erstmals ein Schnittstellenwerkzeug, das den physikalischen Zugang zum Fahrzeug ermöglichte. Daten müssen heute nicht mehr manuell auf Papier dokumentiert werden, sondern werden automatisch digital erfasst. Beispiel ASA-Livestream: Der Bremsprüfstand überträgt die Messwerte kabellos nahezu in Echtzeit.

Ein weiteres Beispiel ist der digital erfassbare Fahrzeugschein.

Genau. Im vergangenen Jahr haben wir mit der KÜS Data mit dem Fahrzeugschein-Digital ein weiteres Tool entwickelt, das den Prüfalltag effizienter gestaltet. Mit nur einem Foto vom Fahrzeugschein werden dabei entsprechende Fahrzeugdaten digital erfasst in unter einer Sekunde. Das verhindert Übertragungsfehler, die bei der manuellen Eingabe entstehen können. Man sollte aber nicht dem Trugschluss erliegen, der Prüfingenieur wäre durch die moderne Technologie zu ersetzen. Sein geübter Blick, vor allem aber seine Erfahrung, sind zusammen mit den digitalen Tools der Garant für eine qualitativ hochwertige Hauptuntersuchung.

Bereits seit 2006 gehen Sie neue Wege in der Qualitätssicherung. Welche sind das?

Qualitätssicherung hat einen sehr hohen Stellenwert bei der KÜS. Sie ist für die gesetzlich geregelte Tätigkeit der KÜS auch zwingend vorgeschrieben, erstreckt sich aber auf den gesamten Tätigkeitsbereich. Die KÜS arbeitet hier mit dem Deutschen Institut für Qualitätsförderung e.V. DIQ zusammen. Das Institut ist eine neutrale Einrichtung und führt unter anderem die unangekündigten Nachkontrollen, zusammen mit einem Qualitätsbeauftragten der KÜS, durch. Sie sind Teil der umfassenden Qualitätskontrollen der KÜS. Über die von der DAkkS akkreditierte DIQ Zert GmbH erfolgen darüber hinaus die für die KÜS und das Handwerk so wichtigen Vermessungen der Scheinwerfereinstellflächen. Außerdem führt das Kalibrierlabor der DIQ Zert im Auftrag der KÜS die Kalibrierung aller Messmittel nach DAkkS-Standard durch.

Wie hat sich das Geschäftsfeld KÜS Automotive entwickelt, in dem Sie Ihre Kompetenzen im Schaden- und Wertgutachtenbereich bündeln?

Aufgabe der KÜS Automotive GmbH ist die Weiterentwicklung der KÜS im Bereich des Sachverständigenwesens, etwa die Entwicklung und Fortschreibung der selbst entwickelten Software OptimaFides für Sachverständige sowie deren Schulung. Sie ist auch für die Aus- und Weiterbildung unserer Sachverständigen zuständig. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der KÜS Automotive liegt in der Oldtimerbegutachtung und -bewertung. Insgesamt bin ich mit der Entwicklung sehr zufrieden.

Der verstärkte Einsatz und die Weiterentwicklung von Fahrerassistenzystemen oder lichttechnischen Einrichtungen bedarf einer Anpassung der Prüftechnik

Sie bilden seit 1993 Prüfingenieure an der KÜS-Akademie aus. Wie hat sich diese Ausbildung im Laufe der Zeit verändert?

Von den 2021 im gesamten Bundesgebiet tätigen Prüfingenieur*innen der KÜS wurde ein Großteil an unserer Akademie fortgebildet. Die Fortbildung zum PI erfolgt nach vom Gesetzgeber festgelegtem Lehrplan. Seit Anbeginn ist die KÜS aktiv in der für diesen Lehrplan verantwortlichen Arbeitsgruppe des Verordnungsgebers, bestimmt somit maßgeblich die Ausbildungsinhalte mit. Dabei hat sich die Anzahl der für den Prüfalltag relevanten Gesetze, Verordnungen und Richtlinien im Lauf der Zeit deutlich erhöht. Rechtliche Grundlagen zu kennen, wird also immer wichtiger.

Zusätzlich zu der sich stetig verändernden Vorschriftenlage muss die PI-Ausbildung natürlich auch mit der Fahrzeugtechnologie Schritt halten. Moderne Technik in Fahrzeugen bedeutet auch ein permanentes Lernen. Unsere Referenten garantieren dies. Über das Portal DIDAXOS bieten wir eine umfangreiche Lernplattform für den Online-Unterricht in der Fort- und Weiterbildung.

„Moderne Technik in Fahrzeugen bedeutet immer auch permanentes Lernen für die Prüfingenieure*innen.”

Ist das Onlineangebot in diesen Tagen wichtiger denn je?

Aktuell ist die Onlineschulung wegen der Corona-Maßnahmen von großer Bedeutung und garantiert einen reibungslosen Fortgang der Fort- und Weiterbildung für die KÜS. Die KÜS Akademie hat für mich einen sehr hohen Stellenwert, denn der Grundstein für eine gute Prüfqualität liegt immer in einer fundierten und umfassenden Ausbildung. Deshalb werden wir den weiteren Ausbau der KÜS Akademie in den kommenden Jahren forcieren.

Mehrwert für Werkstätten – in der Fahrzeugüberwachung und beim Teilekauf: Seit 2020 gibt es mit einer Softwarelösung von KÜS Data und Kaitos die Möglichkeit, Fahrzeugscheine digital einzulesen.

Was sind die Voraussetzungen, um an dieser Akademie als Teilnehmer aufgenommen zu werden?

Um sich zum/zur Prüfingenieur*in weiter zu qualifizieren, benötigt man ein erfolgreich abgeschlossenes Hochschulstudium in den Bereichen Maschinenbau, Fahrzeug- oder Elektrotechnik. Nach individueller Prüfung und mit Ausnahmegenehmigung von der Aufsichtsbehörde reichen auch Studiengänge mit naturwissenschaftlichem/technischem Schwerpunkt.

Herr Schuler, vielen Dank.

Die Fragen stellte Kerstin Thiele.

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