KRAFTHAND-Interview:

„Keine Technologie, die Freie nicht beherrschen”

Wohin geht es mit den freien Werkstätten? KRAFTHAND hat die Frage Peter Wagner von Continental gestellt. Bild: Fotolia

Die KRAFTHAND-Redakteure Torsten Schmidt und Ralf Lanzinger sprachen mit Peter Wagner, Geschäftsführer Aftermarket von Continental, über die Vernetzung von Fahrzeugen, die Digitalisierung des Werkstattbetriebs sowie den Internethandel.

Continental hat eigenen Aussagen zufolge das Ziel, Werkstätten dabei zu helfen, die immer komplexeren Fahrzeuge zu ­beherrschen und die Betriebe damit fit für die Zukunft zu ­machen. Welche Sicht auf den Markt mit seinen aktuellen Herausforderungen und welches Know-how dafür zugrunde­liegen, erfuhr KRAFTHAND im ­persönlichen Gespräch mit dem Geschäftsführer After­market Peter Wagner.

Herr Wagner, die Vernetzung von Fahrzeugen steht an. Hat sich Continental für den Aftermarket schon Lösungen überlegt?
Sicher haben wir das. Allerdings kommt die Vernetzung nicht Knall auf Fall, sondern Schritt für Schritt. Wir müssen bei der Digitalisierung zwischen mehreren für Werkstätten relevanten Wellen unterscheiden. Wir sind aktuell in der ersten Welle. Das heißt, das Verhalten der Endkunden ändert sich gerade. Autofahrer informieren sich mehr im Internet. Beispielsweise werden Informationen über Werkstätten und Reparaturmöglichkeiten sowie Preise zunehmend im Netz eingeholt. Darauf müssen sich Kfz-Betriebe einstellen. Bei der nächsten Welle ändert sich die Technik im Auto. Sprich, die Konnektivität wird eingeführt. In der dritten Welle kommen die Autos dann mit Hilfe dieser Technik zur Reparatur in die Werkstätten.

Sie spielen auf den E-Call und den sogenannten Business-Call an, kurz B-Call?
Ja. Wenn Sie so wollen, kommt damit die dritte Welle ins Rollen. Wobei hier zu differenzieren ist. Der E-Call ist ab 2018 Pflicht für Neufahrzeuge und ist eine tolle Sache, wenn es ums automatische Absetzen eines Notrufs bei Unfällen geht. Aber der E-Call darf nicht benutzt werden, um Daten außerhalb eines Notfalls zu übertragen. Dafür nutzen die Automobilhersteller in einigen Modellen schon heute, aber vor allem in der Zukunft, den B-Call …

… der sich quasi parallel mit dem E-Call in einem Fahrzeug installieren lässt.
Genau. Wobei wir davon ausgehen, dass anfangs nur etwa die Hälfte der Neufahrzeuge einen B-Call serienmäßig haben werden. Wir rechnen aber auch damit, dass über die nächsten drei bis vier Jahre die Ausstattungsquote beim E-Call auf 100 Prozent ansteigt. Somit sind dann alle Fahrzeuge vernetzt.

Und wann wird das Thema Connected Cars für den freien Markt relevant?
Ausgehend von dem, was ich eben ­gesagt habe, kann man Folgendes ­schätzen: Wenn 2018 von etwa drei Millionen Neuzulassungen die Hälfte einen B-Call hat, sind das eineinhalb Millionen Fahrzeuge. Im Jahr darauf womöglich zwei Millionen. Und um das Jahr 2020 sind es dann vielleicht alle Neufahrzeuge. Bei momentan etwa 45 Millionen Fahrzeugen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Fahrzeuge im Schnitt frühestens mit einem Alter von vier Jahren bei den freien Werkstätten landen, heißt das 2023 plus x. Erst dann werden vernetzte Automobile in einer signifikanten Menge  im freien Markt auftauchen.

Das Thema kommt also nicht von heute auf morgen?
Nein, kommt es nicht. Das Thema Telematiksysteme und die daraus resultie­rende Kommunikation mit Autos und ­Kunden kommen langsam auf freie Werkstätten zu. Aber dennoch müssen sie ­sich schon jetzt auf sich ändernde Marktbedingungen einstellen beziehungsweise müssen genau beobachten, wo sich etwas in Zukunft tut. Denn einerseits verändern die Endverbraucher, also die Autofahrer, ihr Verhalten. Und andererseits wird es neue Marktteilnehmer geben, die das Marktgeschehen verändern könnten.

Sie denken an eine mögliche Reparatursteuerung?
Zum Beispiel. Jeder kennt die Schadensteuerung von Versicherungen bei Unfällen. So könnten Versicherungen – dank B-Call – mit einer Reparatursteuerung in Zukunft auch das Marktgeschehen im Service- und Reparatursektor beeinflussen. Das heißt, sie würden für die bei ihnen versicherten Fahrzeuge günstigere Reparaturpakete schnüren, mit denen sie Autofahrer als Kunden locken. Und wenn Versicherungen solche Pakete verhandeln, dann sollte man mit dabei sein und sich als Partnerwerkstatt bewerben. Das heißt leider nicht unbedingt, dass die Erträge für Werkstätten steigen. Aber man sichert sich so längerfristigere Aufträge und regelmäßige Einkünfte.

Und Sie glauben, das wird die Zukunft?
Natürlich kann man heute nicht sicher voraussagen, wie sich das Marktgeschehen entwickelt. Aber man sieht doch am Beispiel der Unfallreparaturen, dass Versicherungen versuchen, auf das Reparaturverhalten einzuwirken. Und es gibt auch noch Leasingunternehmen und Flotten und andere Faktoren, die das Reparaturgeschäft in Zukunft verändern.

Zum Beispiel die immer höhere Digitalisierung im Geschäftsbetrieb.
Gutes Stichwort. Werkstätten müssen deshalb bei diesem Thema unbedingt am Ball bleiben. Wer zum Beispiel Versicherungen einen Kostenvoranschlag nicht digital zur Verfügung stellen kann, wird in Zukunft keine Chance haben. Ich denke aber auch an die Kommunikation mit dem Kunden, die sich immer mehr wandelt. So wissen wir aus Umfragen, dass rund zwei Drittel der Kunden von freien Werkstätten oder Werkstattketten die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten mit ihrer Werkstatt als nicht ausreichend empfinden. Hier kann man mit relativ überschaubarem Aufwand einiges bewegen. Zunächst muss man erst einmal im Netz gefunden werden. Man braucht also eine gut auffindbare Internetseite mit aktuellen Informationen und einen Onlineterminplaner für die Kunden. Chatdienste eröffnen die Möglichkeit, quasi in Echtzeit Schadenbilder, den Reparaturstand und Fertigstellung sowie Vorabinformationen zur Rechnung zu übermitteln. Das sind Kleinigkeiten, die heute schon vorhanden sind und genutzt werden sollten. Leider tun das aber nicht alle Werkstätten.

Continental ist ja bekanntlich im Erstausrüstungsbereich einer der Zu­lieferer, der die Digitalisierung und ­Konnektivität von Fahrzeugen vorantreibt. Aber nicht nur da. Für den Aftermarket gibt es vAnalytics. Was hat es damit auf sich?
Unser Serviceangebot besteht aus zwei Elementen: einerseits aus vAnalytics, das im Silicon Valley in den USA entwickelt wird, und andererseits aus unserer Plattform für den Zugriff auf Fahrzeugdaten, der RVD-Plattform. Mit RVD lesen wir ­die Fahrzeugdaten herstellerübergreifend aus und stellen sie dann in einem einheitlichen Format durch die Continental.cloud zur Verfügung. vAnalytics wiederum liefert das Management und die Analyse dieser Daten und die damit einhergehenden Services. Auf dieser Basis kann die Werkstatt dann Angebote zur Verfügung stellen, die genauer auf die Bedürfnisse ihrer Kunden zugeschnitten sind. Damit wollen wir Werkstätten unterstützen, den Weg der Digitalisierung mit­zugehen. Ein Vorteil dabei ist, die Kommunikation zwischen Autofahrer und Werkstatt auf ein neues Level zu heben. Im Übrigen haben wir mit der Firma Matthies schon einen Teilegroßhändler für vAnalytics und RVD gewonnen. Werkstätten, die mit Matthies zusammenarbeiten, können also in Zukunft aus der Ferne auf Daten aus den entsprechenden Kundenfahrzeugen zugreifen.

Wie muss man sich das vorstellen?
Die Autos sind mit Dongellösungen an der OBD-Schnittstelle ausgerüstet. Diese senden per Bluetooth Daten an das Smartphone des Fahrzeugnutzers. Von hier wiederum gehen die Daten an unsere Continental.cloud. Diese stellt die Daten als Cloudanwendung dem Portal der Firma Matthies zur Verfügung, auf das auch die Werkstätten Zugriff haben. Wichtig ist natürlich, dass der jeweilige Autofahrer seine Einwilligung zur Übermittlung und Verwendung der Daten gegeben hat. Ist das der Fall, besteht ein Schulterschluss zwischen Autofahrer, Werkstatt und Teilehändler. Damit kann die Werkstatt den Kunden beispielsweise entsprechende (Sonder-)Angebote direkt aufs Smartphone schicken.

Und was ist mit dem vAnalytics-Dongle beim Auslesen möglich?
Wir lesen über die OBD-Schnittstelle sowohl die gesetzlich vorgeschriebenen Daten als auch die herstellerspezifischen Daten aus. Beispielsweise Fehlercodes, Kilometerstände und dynamische Serviceintervalle oder Informationen zum Bremsenverschleiß. Es sind OBD-Daten. Wir sind aber auch dran, Protokolle zu schreiben, um Informationen aus ABS, Klimaanlage und so weiter auslesen zu können.

Gibt es schon erste Erfahrungen, wie das System von Werkstätten und Kunden angenommen wird?
Nein, dazu ist es noch zu früh. Momentan wird das System gerade aufgebaut.

Aber ist es nicht vorstellbar, dass das Donglethema erst in den 2020er Jahren richtig an Fahrt gewinnen wird? Vielleicht auch, weil jetzt der Nutzen noch nicht so gegeben ist oder dieser vielen noch nicht klar ist?
Sicher stehen wir hier noch ganz am Anfang. Und die Technologie breitet sich eben Schritt für Schritt aus. Sie muss einem Großteil der Autofahrer überhaupt erst einmal bekannt sein und auch ihr Nutzen erklärt werden. Am Markt gibt es eine zweigleisige Entwicklung. Da sind ­einerseits die Dongle-Nachrüstlösungen und andererseits die vernetzten Fahrzeuge, die sogenannten Extended Vehicles, über die wir schon gesprochen haben. Also die Autos, die per integriertem Telematiksystem Daten an einen Server beim jeweiligen Fahrzeughersteller übertragen.

Wenn – wie Sie sagen – die Extended ­Vehicles Daten auf einen Server beim ­jeweiligen Autobauer übertragen, sind dann freie Betriebe nicht im Nachteil?
Da muss man zunächst klarstellen, dass es ohne die Autobauer nicht geht, Daten von vernetzten Fahrzeugen abzufragen. Natürlich sollen auch die freien Werkstätten Zugang zu Daten bekommen. Deshalb unterstützen wir das Projekt Caruso – einen neutralen Server, der wiederum als Schnittstelle zwischen Autobauern und freiem Aftermarket dient, um Daten aus den vernetzten Fahrzeugen zu bekommen und standardisiert zur Verfügung zu stellen. Wichtig ist, dass die Automobilhersteller die Daten dem freien Markt diskriminierungsfrei zur Verfügung stellen.  Ist das gewährleistet, dann sehen wir eine gute Zukunft auch für die freien Werkstätten.

Und die Autobauer ­rücken die Telemetriedaten einfach so heraus?
Es gibt ein Positionspapier vom VDA, in dem steht, dass Daten diskriminierungsfrei zur Verfügung gestellt werden. Da muss der freie Markt die OEMs beim Wort nehmen. Prüfen kann man das jetzt natürlich noch nicht, da wir im Moment noch theoretisch unterwegs sind und in die Zukunft blicken …

… in der auch die freien Betriebe nach wie vor ihren Platz haben.
Absolut. Sehen Sie, solange ich denken kann, gibt es die Dualität Fahrzeughersteller und freier Markt. Die freien Werkstätten haben bisher noch immer Mittel und Wege gefunden, um zu bestehen. Und das wird auch weiterhin so sein. Das heißt nicht, dass alles so bleibt, wie es ist. Und natürlich muss man sich neuen ­Gegebenheiten anpassen und neue Services anbieten, wenn diese gefragt sind. Technologiesprünge haben schon immer Unwohlsein ausgelöst. Aber ob jetzt Extended Vehicle oder Digitalisierung, ich sehe keine Technologie, die die freien Werkstätten nicht bewältigen können. Zumal die Vernetzung nicht über Nacht kommt, sondern es noch einige Jahre dauern wird, bis sie da ist. Diese Zeit können die freien Betriebe nutzen. Wichtig ist nur, zum Beispiel der Digitalisierung offen gegenüberzustehen. Con­tinental will dazu seinen Beitrag leisten. Wir helfen mit Schulungen und wollen das Know-how von Continental in die Werkstätten transportieren und mit dazu beitragen, damit diese die immer komplexeren Fahrzeuge beherrschen. Es geht also darum, die Werkstätten fit für die ­Zukunft zu machen.

Aber nicht nur neue Technologien und komplexere Fahrzeuge ändern den Reparaturmarkt, sondern zum Beispiel auch der wachsende Internethandel mit Ersatzteilen. Ein Thema, das viele unserer Leser bewegt. Kommen doch immer mehr Kunden mit Ersatzteilen in die Werkstatt, die sie online gekauft haben. Wie sehr wirkt sich das auf Ihr Geschäft als Teilezulieferer aus? Schließlich finden sich auch Teile von Continental und beispielsweise der zum Konzern gehörenden Bremsenmarke Ate auf diversen Internetplattformen.
Internethandel ist etwas, was im Markt seinen Raum nimmt. Das ist überall so, warum nicht auch bei Ersatzteilen? Um jedoch Ihre Frage zu beantworten: Für uns ist es das gleiche Geschäft. Warum? Wir liefern nicht an Internethändler, sondern wir liefern an unsere Distributoren, die wiederum nach ihren Vorstellungen nachgelagerte Händler und auch Internethändler bedienen.

Und was sagen Sie Werkstätten, die sich über negative Begleiterscheinung wie Preistransparenz durch die Internet­händler beklagen?
Natürlich bringt das Internet eine Preis­transparenz mit sich. Das kann man nicht verhindern, wollen wir bei Continental auch gar nicht. Wir können nicht auf der einen Seite gegenüber den Fahrzeug­herstellern einen fairen Wettbewerb und diskriminierungsfreien Zugang zu Daten und reparaturrelevanten Informationen fordern und auf der anderen Seite die Wettbewerbsnachteile durch Internetportale beklagen oder diese gar diskriminieren wollen. Zumal ich glaube, dass sich nicht mehr nur Autofahrer und die Do-it-yourself-Klientel bei den Online­portalen bedienen.

Ihrer Meinung nach hat sich also …
… ein Teil des Teilehandels ans Fachpublikum ins Internet verlagert. Dafür spricht einerseits, dass Fahrzeugreparaturen sowie die Teilebestellung immer komplexer und somit für normale Autofahrer kaum möglich werden. Und auf der anderen Seite nimmt der Teilehandel im Internet zu. Letztlich ist doch die Echtheit des Teils entscheidend. Deshalb haben wir auf unseren Verpackungen entsprechende Siegel aufgebracht, welche zur einwandfreien Identifizierung der Herkunft dienen. Ist eine Werkstatt über die Herkunft unsicher, sollte sie meiner Meinung nach den Einbau eines solchen Teils verweigern.

Also kann man am Ende unseres Gesprächs resümieren, freie Betriebe werden weder an neuen Technologien und der Digitalisierung noch am Internethandel mit Ersatzteilen scheitern?
Nein, werden sie nicht. Wie ich schon sagte, sehe ich keine Technologie, die freie Betriebe nicht beherrschen können, wenn sie am Ball bleiben. Und was den Onlinehandel betrifft: Weder braucht das Internet Ersatzteile, noch baut das Internet Ersatzteile ein. Ich denke, damit ist ­alles gesagt.

Herr Wagner, herzlichen Dank.

Das Gespräch führten Torsten Schmidt ­und Ralf Lanzinger.

 

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