Henry Siemons im Gespräch: „Spezial-Reifen erfordern enormen Entwicklungsaufwand“

Henry Siemons leitet bei Continental das Geschäft mit den Ultra-High-Performance-Reifen. Bilder: Continental

Henry Siemons leitet bei Continental das Geschäft mit den Ultra-High-Performance-Reifen (UHPT) im Tuningsektor. Im Interview beschreibt er aktuelle Branchen-Entwicklungen und erklärt den besonderen Stellenwert der Reifen für die führenden Fahrzeugveredler.

Red.: Herr Siemons, welchen Stellenwert hat die Essen Motor Show für den Reifenhersteller Continental?
Siemons: Continental ist im Tuning-Segment stark vertreten. Die Produktpalette mit ContiForceContact, ContiSportContact 5 und ContiSportContact 5 P unterstreicht die Marktstellung im Bereich der Sportreifen. Aktuelle Reifentests der Fachpresse zeigen, dass dies auch für sportliche Winterreifen gilt. In Essen treffen wir auf ein fahrzeug- und fahrzeugzubehörinteressiertes Publikum mit einem extrem hohen Qualitätsanspruch. Die Zahl der tuningaffinen Endverbraucher, die sich im Premiumsegment nur mit der besten Lösung zufrieden geben, steigt. Darüber hinaus belegen Umfragen des Verbandes der Automobil-Tuner, dass Messen für Endverbraucher gleich nach Fachzeitschriften und dem Internet die zweitwichtigste Informationsquelle darstellen. Interessanter Weise ist diesen Umfragen zufolge die Bedeutung des Internets rückläufig, wohingegen die Bedeutung der Messen leicht zu steigen scheint.

Red.:Wie entwickelt sich die Tuning-Branche aus Sicht der Reifenhersteller?

Siemons: Auf diese Frage gibt es gleich drei Antworten. Erstens: Reifen haben im Tuning-Paket einen außerordentlich hohen Stellenwert. Mehr als ein Viertel aller Branchenumsätze entfallen seit vielen Jahren stabil auf Rad-Reifen-Kombinationen. Deshalb ist die Entwicklung von Sportreifen für die Tuning-Branche ein interessantes Geschäftsfeld. Zweitens: Die Leistungsanforderungen der führenden Fahrzeugveredler an die verwendeten Pneus sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Dazu beigetragen haben unter anderem die zunehmenden Motorleistungen und die damit verbundenen gestiegenen Höchstgeschwindigkeiten der Fahrzeuge. Entsprechend dynamisch haben sich die verwendeten Größen entwickelt. Noch vor wenigen Jahren bezeichnete man Pneus oberhalb von 16 Zoll als Breitreifen. Ein Porsche rollte serienmäßig auf 17-Zoll-Rädern vom Band. Heute sind es 20 Zoll. Bei Audi sind es bis zu 21 Zoll. Größen ab 20 Zoll aufwärts verzeichneten im vergangenen Jahr europaweit ein Wachstum um rund 29 Prozent. Herkömmliche Reifen können im Tuning immer weniger eingesetzt werden. Der Entwicklungs-Aufwand für spezielle Produkte oder für Modifikationen bestehender UHP-Reifen ist enorm und nur noch von wenigen Herstellern zu leisten. Die Produkte von Continental entstehen ausnahmslos im Rahmen von engen Entwicklungspartnerschaften mit führenden Fahrzeugveredlern der Branche. Drittens: Das Nachfrageverhalten von Verbrauchern hat sich in den vergangenen Jahren zu Gunsten der Reifen weiter verändert. Sicherheit, Sportlichkeit und Individualität sind heute die wesentlichen Triebfedern für Fahrzeugveredelung. Die ersten beiden Aspekte können wir ganz entscheidend beeinflussen.

Red.: Dem Wunsch nach Individualisierung kommen die Fahrzeughersteller mit zunehmender Ausweitung des Originalzubehör-Programms zunehmend selbst entgegen?
Siemons: Das ist richtig. Tatsächlich ist dieser Umstand einer der wesentlichen Gründe für Veränderungsentwicklungen innerhalb der Branche. Je hochwertiger und individueller das Angebot der Fahrzeughersteller bereits ab Werk ist, desto anspruchsvoller ist die Aufgabe der Tuner im Rahmen der Veredelung. Tuning entwickelt sich zu einem Geschäftsfeld, das nur noch reine Spezialisten dauerhaft erfolgreich betreiben können. Diese sind bereits zu großen Teilen dazu übergegangen, sich auf bestimmte Herstellermarken zu konzentrieren und bündeln auf ihrem Fachgebiet umfassendes Know-how. Die markenspezifischen Fahrzeugveredler haben sich in diesem Rahmen zu Manufakturen entwickelt, deshalb stehen sie heute auch weniger untereinander im Wettbewerb als vielmehr mit den Fahrzeugherstellern. Angesichts des großen Verbraucherwunsches nach Individualisierung sehe ich die Tuner in diesem Wettbewerb gut aufgestellt. Allerdings treiben die zunehmenden High-End-Lösungen Aufwand und Kosten.

Red.: In den vergangenen Monaten sind außerdem die Neuzulassungen in allen europäischen Märkten zum Teil deutlich zurückgegangen. Wird sich diese Entwicklung nicht negativ auf die Branche auswirken?
Siemons: Das Krisenjahr 2008/2009 hat gezeigt, das die Rückgänge des herkömmlichen Pkw-Geschäftes nur zu einem geringen Teil auf die Tuning-Branche durchschlagen. Die Umsatzrückgänge waren moderat und wurden – zumindest von den wesentlichen Marktteilnehmern – schnell überwunden. Schon 2011 konnte die Branche an alte Umsatzbestmarken aus Vorkrisenzeiten anknüpfen. Seit dem sind die Umsätze stabil. Dazu trägt allerdings auch eine zunehmende Internationalisierung der Branche bei. Rund 15 Prozent der Tuner sind heute bereits außerhalb Europas erfolgreich aktiv. Insbesondere in den Märkten China, Russland, Indien und Südamerika.

Red.: Wie wettbewerbsfähig sind deutsche Tuner auf dem Weltmarkt?
Siemons: Die heimischen Tuner verfügen gleich aus mehreren Gründen über hervorragende Perspektiven. Zum einen ist Deutschland für Tuningfahrzeuge und -produkte neben den USA der größte Markt der Welt, auf dem sie ihre Leistungsfähigkeit bereits unter Beweis gestellt haben. Zum anderen wissen die Kunden auch außerhalb Europas von den strengen Zulassungsvoraussetzungen und Materialprüfungen bei der Entwicklung von Fahrzeugzubehör auf dem deutschen Markt. Hinzu kommt, dass Deutschland als einziges Land keine generellen Höchstgeschwindigkeiten vorschreibt. Und schließlich profitieren Tuning-Unternehmen weltweit auch vom äußerst guten Ruf der heimischen Fahrzeugindustrie, die ihre sportlichen Modelle rund um den Globus sehr erfolgreich vermarktet.

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