Augmented Reality: Digitale Erweiterung für den freien Markt?

Augmented Reality kann das klassische Werkstatthandbuch ersetzen. Bereiche eines Fahrzeugs werden mit einem entsprechenden Tablet via Kamera gescannt und so virtuell dargestellt, dass zum Beispiel darunter liegende Bauteile sichtbar werden. Bilder: AVL Ditest

Auf Messen zeigen Werkstattausrüster immer wieder, wie sie sich die Diagnose von morgen vorstellen. Oft im Mittelpunkt dabei: Augmented Reality. Im Experteninterview erfuhr KRAFTHAND, dass deren serienmäßiger Einsatz für bestimmte Marktbereiche noch nicht so weit ist, wie teils suggeriert.

Anlässlich der alle zwei Jahre stattfindenden Automechanika zeigen diverse Anbieter von Diagnoselösungen nicht nur ihre aktuellen Neuentwicklungen, sondern geben zum Teil auch einen Ausblick, wie sie sich Tools vorstellen, die in Zukunft die Diagnose und die Reparatur von Fahrzeugen einfacher machen. In diesem Zusammenhang machte auf der Frankfurter Fachmesse im vergangenen Jahr immer wieder der Begriff Augmented Reality die Runde.

Wenn man so will, beschreibt dieser Begriff quasi eine digitalbasierte Erweiterung der Sinne. Übertragen auf den Werkstattalltag lassen sich via Augmented Reality auf dem Bildschirm eines Ta­blets beispielsweise verdeckte Bauteile sichtbar machen und relevante Reparaturinformationen einblenden. Das kann etwa beim Demontieren von Verkleidungen helfen, ebenso bei Diagnosetätigkeiten, indem der Kfz-Profi auf seinem Tablet relevante Prüfpunkte und Messwerte angezeigt bekommt.

Und weil dies – zumindest in der Theorie – spannend klingt, hat sich KRAFTHAND mit Marcel Wendland unterhalten. Der Leiter Forschung und Entwicklung bei AVL Ditest kennt sich mit der Virtual Service Platform (siehe Kasten rechts) des Unternehmens und somit Augmented Reality bestens aus.

Herr Wendland, Augmented Reality ist ein Thema, an dem AVL Ditest arbeitet, aber auch andere Hersteller von Diagnoselösungen. Welche Vorteile sollen sich daraus ergeben?
Es gibt mehrere Aspekte, warum sich derzeit so viele damit beschäftigen. Zum einen ist es die technische Reife, die diese Technologie für diesen Einsatzzweck sehr attraktiv macht. Zum anderen liegen echte marktrelevante Vorteile auf der Hand, wenn man sich das Thema 3 D als solches anschaut. Im Vergleich zu klassischen Bild-, insbesondere aber Textdarstellungen in herkömmlichen Unterlagen, lassen sich technische Inhalte sprachunabhängig darstellen.
Das heißt, in der Werkstatt und bei Schulungen kann sehr viel durch Animationen erklärt werden – und zwar ohne, dass sich der Werkstatttechniker oder der Schulungsteilnehmer ein Handbuch dazu durchschauen muss. Das ist natürlich gerade für die Automobilhersteller interessant. Es fallen Übersetzungskosten weg, es fallen lange Beschreibungen weg und auch Trainings können verkürzt werden.

Für wen arbeitet AVL Ditest an solchen Projekten?
Wir arbeiten mit der Technologie schon eine ganze Weile. Auch schon im produktiven Bereich. Allerdings kommt das aus dem Sonderfahrzeugbau und ist dort auch bereits im Einsatz. Doch sind wir hier zur Verschwiegenheit verpflichtet. Was ich allerdings sagen kann: Wir haben den zweitgrößten Motorradhersteller Europas als Kunden, der sich als erster klassischer Onroads-Fahrzeughersteller dazu entschieden hat, die Technologie einzusetzen. Wir sind da bereits in der Entwicklung und der go life wird vermutlich im ersten oder zweiten Quartal des nächsten Jahres stattfinden.

Aber ist es für Automobilhersteller genauso interessant wie für Motorrad­hersteller?
Ja. Es ist natürlich naheliegend, dass die Systemkomplexität beim Motorrad durchschaubarer ist und man deshalb erst mal mit kleineren Fahrzeugen anfängt. Es gibt aber bereits Erstkontakte mit etablierten OEM-Partnern. Hier befinden wir uns aber noch in der Konzeptphase. Es ist also eher eine Frage des Wann und nicht des Ob. Früher oder später wird sich meiner Meinung nach jeder Fahrzeughersteller mit dieser Technologie ­beschäftigen.

Soll durch Augmented Reality dann das klassische Handbuch komplett ersetzt werden oder kommt die Technologie in erster Linie bei besonders komplexen Systemen zum Einsatz?
Nach unseren Erfahrungen macht es keinen Sinn, einfache Handgriffe, die schnell erklärt sind, durch Augmented Reality darzustellen. Wofür sich die Technologie natürlich eignet, sind in der Tat komplexe Systeme. Aber auch für geometrisch schwer von außen erkennbare Zusammenhänge, wenn etwa Systemkomponenten an schlecht zugänglichen Stellen verbaut sind. Bevor man das Armaturenbrett entfernt, kann man sich das Ganze vorab anschauen und erhält so auch ein besseres Systemverständnis.

Wird Augmented Reality beziehungsweise Virtual Reality auch für die Mehrmarkendiagnose interessant?
Zunächst muss man wissen, sowohl hinter Virtual Reality als auch Augmented ­Reality stehen 3-D-Daten. Wenn wir uns heute anschauen, wie es die OEMs machen, so gibt es eigentlich mehr oder ­weniger schon automatisierte Wege, wie man aus den vorhandenen 3-D-Daten das Thema Virtual Reality oder Augmented Reality ableitet. Bezogen auf den freien Markt heißt das: Technologisch ist es nicht ausgeschlossen, auch für den freien Markt Diagnosegräte und Softwarelösungen mit diesen Funktionen zu entwickeln. Ein Problem in diesem Bereich ist allerdings, dass es wenig Standards gibt.
Das heißt, jeder verwaltet seine 3-D-­Daten auf unterschiedliche Weise. Insbesondere auch die Verortung innerhalb der Bauteile im Fahrzeug wird unterschiedlich gehandhabt. Das müsste vorher vereinheitlicht werden. Dazu müsste die Politik die Fahrzeughersteller per GVO verpflichten, ihre 3-D-Daten bereitzustellen. Das vorausgesetzt, kann ich mir vorstellen, dass das Thema innerhalb von fünf bis zehn Jahren auch für den freien Markt interessant sein kann.

Vor diesem Hintergrund müssen die freien Kfz-Betriebe also noch eine ganze Weile auf herkömmliche Weise auf technische Informationen zurückgreifen. Wo sehen Sie hier noch Optimierungspotenzial?
Aus meiner Sicht sind eine gute Verknüpfung von Diagnosedaten und technischen Informationen die Hausaufgaben, die derzeit im Bereich der Mehrmarkentester gemacht werden müssen. Das heißt, dort ist man noch sehr stark auf den Fehlerspeicher fokussiert. Deshalb arbeiten wir bei AVL Ditest intensiv daran, Fehlercodes und Fehlersymptome noch besser zu verknüpfen. Dann erklärt sich das ganze Thema auch leichter und die Komplexität verringert sich, indem der Mechatroniker schneller in geführte Fehlersuchabläufe reinkommt. Hier sehe ich derzeit noch großes Potenzial und einen wichtigen Schritt, bevor man sich für den freien Markt mit dem Thema 3 D auseinandersetzt.

Herr Wendland, vielen Dank.

Das Gespräch führte Torsten Schmidt

Dieser Beitrag stammt aus der aktuellen KRAFTHAND 15-16/2017

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